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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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nicht unser Pfarrer, sondern ein ganz junger Geistlicher, der gerade das Seminar absolviert hatte und bei dem Gedanken, zu Josh nach oben gehen zu müssen, grün im Gesicht wurde. Er sagte, Josh hätte sich willentlich und wissentlich das Leben genommen und eine 414
    Todsünde begangen. Er weigerte sich, ein Gebet für ihn zu sprechen.«
    »Das war falsch. Falsch und grausam.«
    »Ich hab’ ihn rausgeworfen. Meine Mutter stand mit zusammengepreßten Lippen und ohne zu weinen da. Dann ging sie in das Zimmer hoch, wo das Gehirn ihres Sohnes an die Wand gespritzt war, und betete selbst für seine Seele.«
    »Deine Mutter ist sehr stark. Sie muß einen enormen Glauben haben.«
    »Sie ist immer nur Hausfrau gewesen.« Er zog Tess an sich, weil er den feinen, femininen Duft brauchte. »Ich weiß nicht, ob ich es fertiggebracht hätte, ein zweites Mal die Treppe hochzugehen, aber sie war dazu imstande. Als ich sie dabei beobachtete, wurde mir klar, daß sie glaubte und immer glauben würde, daß das, was mit Josh geschehen war, Gottes Wille war, ganz gleich, wie weh es ihr tat und wie sehr sie sich darüber grämen würde.«
    »Aber du hast es nicht geglaubt.«
    »Nein. Jemand mußte schuld sein. Josh hatte in seinem ganzen Leben nie irgend jemand etwas zuleide getan, jedenfalls nicht vor Vietnam. Dann sollte das, was er dort getan hatte, richtig sein, weil er für sein Land kämpfte.
    Aber es war nicht richtig, und damit konnte er nicht mehr leben. Der Psychiater hätte ihm klarmachen müssen, daß er – ganz gleich, was er da drüben getan hatte – immer noch ein anständiger, wertvoller Mensch war.«
    So wie sie Joey Higgins hätte klarmachen müssen, daß er ein wertvoller Mensch war. »Hast du hinterher je mit Joshs Arzt gesprochen?«
    »Einmal. Ich glaube, ich hatte es mir immer noch nicht aus dem Kopf geschlagen, daß ich ihn umbringen müßte.
    Er saß mit gefalteten Händen hinter seinem Schreibtisch.«
    415
    Ben blickte auf seine eigenen Hände und sah, wie sie sich zu Fäusten ballten. »Er empfand nicht das Geringste.
    Er sagte, es tue ihm leid, und erklärte, wie gravierend ein verzögertes Streßsyndrom sein könne. Dann teilte er mir mit, die Hände noch immer gefaltet und mit einer Stimme, die noch nicht einmal andeutungsweise Mitgefühl verriet, daß Josh mit dem, was in Vietnam geschehen war, nicht fertig geworden war, daß der Versuch, nach seiner Rückkehr seinem früheren Selbst gerecht zu werden, mehr und mehr Druck erzeugt hatte, bis es schließlich zur Katastrophe gekommen war.«
    »Das tut mir leid, Ben. Ein großer Teil dessen, was er dir gesagt hat, stimmte wahrscheinlich, aber er hätte es anders ausdrücken können.«
    »Das Ganze war ihm völlig gleichgültig.«
    »Ben, ich will ihn ja nicht verteidigen, aber viele Ärzte, Mediziner wie Psychiater, vermeiden es, sich zu weit mit dem Patienten einzulassen, weil es zu weh tut, wenn man jemanden verliert, wenn man nicht imstande ist, ihn zu retten.«
    »So, wie es dir weh getan hat, Joey zu verlieren.«
    »Kummer und Schuldgefühl nagen an dir, und wenn sie zu oft an dir nagen, bleibt nichts mehr übrig, für dich selbst nicht und für den nächsten Patienten auch nicht.«
    Das verstand er, oder zumindest fing er an, es zu verstehen. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, daß Joshs Seelenklempner sich ins Badezimmer zurückzog und dort schluchzend weinte. »Warum machst du das Ganze?«
    »Vermutlich weil ich genau wie du nach Antworten suche.« Sie drehte sich zur Seite und berührte sein Gesicht.
    »Es tut dann weh, wenn es zu wenig war oder wenn es 416
    zu spät ist.« Ihr fiel ein, wie er ausgesehen hatte, als er ihr von drei Fremden erzählt hatte, die wegen einer Handvoll Münzen ermordet worden waren. »Wir sind gar nicht so verschieden, wie ich einmal angenommen habe.«
    Er schmiegte seine Lippen in ihre Hand, was ihm wohltat. »Mag sein. Als ich dich heute abend ansah, habe ich das gleiche empfunden wie damals in jener Gasse, als ich gesehen habe, wie du Anne Reasoner betrachtet hast.
    Du schienst so gleichgültig gegenüber der Tragödie, so völlig beherrscht. Genau wie jener Major gewesen war, der mir mit gefalteten Händen erklärte, warum mein Bruder tot ist.«
    »Sich zu beherrschen ist nicht dasselbe wie gleichgültig zu sein. Du bist Polizist, du müßtest den Unterschied kennen.«
    »Ich wollte sehen, daß du etwas empfindest.« Er ließ seine Hand zu ihrem Handgelenk gleiten und hielt es fest, während er ihr in die Augen

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