Pretty Little Liars - Teuflisch: Band 5
NEUGIERIG, NEUGIERIG …
Wäre es nicht wunderbar, wenn wir genau wüssten, was andere Menschen denken? Wenn die Köpfe aller Menschen so transparent wären wie Marc-Jacobs-Plastiktaschen, und ihre Gedanken darin so sichtbar wie ein Bund Autoschlüssel oder eine Tube Hard-Candy-Lipgloss? Du wüsstest, was die Casting-Direktorin der Schule wirklich gedacht hat, als sie nach deinem Vorsingen für South Pacific sagte: »Nicht schlecht.« Oder, dass dein niedlicher Partner beim gemischten Doppel deinen Hintern in deinem Lacoste-Tennisrock knackig findet. Und besonders gut wäre, dass du nicht mehr darüber nachgrübeln müsstest, ob deine beste Freundin auf dich sauer ist, weil du sie bei der Silvesterparty für den süßen Zwölftklässler mit den Lachfältchen stehen gelassen hast. Nach einem Blick in ihren Kopf wüsstest du es.
Leider sind die Köpfe der Menschen hermetischer abgeriegelt als das Pentagon. Manchmal geben die Leute Hinweise darauf, was sich darin abspielt – wie zum Beispiel die Grimasse der Casting-Direktorin, als du das hohe B nicht geschafft hast, oder die Tatsache, dass deine beste Freundin alle SMS ignoriert hat, die du ihr am ersten Januar geschrieben hast. Aber meistens werden die wichtigsten Hinweise gar nicht bemerkt. Vor vier Jahren hatte ein gewisser Goldjunge aus Rosewood beispielsweise überdeutlich angedeutet, dass sich in seinem verdorbenen
kleinen Kopf etwas Scheußliches abspielte. Aber niemand zuckte mit der Wimper.
Hätte auch nur einer richtig zugehört, wäre ein gewisses schönes junges Mädchen heute womöglich noch am Leben.
Die Fahrradständer vor der Rosewood Day waren überfüllt. Dort sammelten sich grellbunte Einundzwanzig-Gang-Räder, ein in streng limitierter Auflage produziertes Trek-Bike, das Noel Kahns Vater direkt von Lance Armstrongs Pressesprecher bekommen hatte, und ein blitzblank polierter, bonbonrosaroter Razor-Motorroller. Ein paar Sekunden nach dem letzten Läuten strömten die Sechstklässler in den Hof, ein kraushaariges Mädchen stolperte linkisch zu dem Ständer, gab dem Roller einen liebevollen Klaps und löste das grellgelbe Kryptonite-Bügelschloss vom Lenker.
Da fiel ihr Blick auf einen Flyer an der Steinmauer. »Mädels«, rief sie ihren drei Freundinnen zu, die am Brunnen standen. »Kommt mal her.«
»Was ist, Mona?« Phi Templeton war damit beschäftigt, die Schnur ihres neuen Jojos in Schmetterlingsform zu entwirren. Mona Vanderwaal deutete auf das Blatt Papier.
»Schaut mal!«
Chassey Bledsoe schob ihre violette Brille auf ihrem Nasenrücken hoch. »Wow!«
Jenna Cavanaugh knabberte an einem babyrosa lackierten Fingernagel. »Das ist ja irre«, sagte sie mit ihrer süßen, hohen Stimme.
Ein Windstoß wirbelte ein paar Blätter von einem sorgfältig zusammengeharkten Haufen auf. Es war Mitte September, ein paar Wochen nach Beginn des Schuljahres, und es war eindeutig
Herbst geworden. Jedes Jahr fuhren Touristen von der gesamten Ostküste nach Rosewood in Pennsylvania, um sich die leuchtend roten, gelben, orangefarbenen und purpurnen Herbstbäume anzusehen. Es war, als läge hier irgendetwas in der Luft, was die Blätter besonders prächtig färbte. Auch alles andere in Rosewood wirkte um diese Zeit besonders prächtig. Golden Retriever mit glänzendem Fell, die sich in den gepflegten Hundeparks der Stadt tummelten. Rotwangige Babys, die sich in ihre Burberry-MacLaren-Buggys kuschelten. Und durchtrainierte, strahlende Fußballspieler, die über die Trainingsplätze von Rosewood Day, der nobelsten Privatschule der Stadt, rannten.
Aria Montgomery beobachtete Mona und die anderen von ihrem Lieblingsplatz auf der niedrigen Steinmauer aus, die die Schule umgab. Ihr Moleskin-Tagebuch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß. Aria hatte in der letzten Stunde Kunst, und ihre Lehrerin Mrs Cross erlaubte ihr immer, über das Schulgelände zu streifen und alles zu skizzieren, was sie interessierte. Mrs Cross nannte als Grund, dass Aria eine so herausragende Künstlerin war, aber Aria hatte eher den Verdacht, dass sie ihrer Lehrerin unheimlich war. Schließlich war sie die Einzige, die während der Dia-Vorträge im Kunstunterricht nicht mit ihren Freundinnen tratschte und auch nicht mit Jungs flirtete, während die Klasse Stillleben in Pastellkreide malen sollte. Aria hätte selbst auch gern Freundinnen gehabt, aber Mrs Cross musste sie ja deshalb nicht gleich aus dem Klassenzimmer verbannen.
Scott Chin, der ebenfalls in der sechsten Klasse war, sah den
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