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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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unrecht.«
    Sie drehte den Kopf ein wenig, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Er saß immer noch im Halbdunkel auf dem Bett. Er wirkte einsam. Das war seltsam, weil sie ihn für einen Mann gehalten hatte, der permanent von Freunden umgeben war, einen Mann, der die Sympathien vieler auf sich zog und voller Selbstvertrauen war. Sie drehte sich um, blieb aber, wo sie war, da sie nicht recht wußte, ob er wollte, daß sie zu ihm kam.
    »Ich habe dir noch nie von meinem Bruder Josh
    erzählt.«
    »Nein. Du hast mir überhaupt noch nicht viel von deiner Familie erzählt. Ich wußte gar nicht, daß du einen Bruder hast.«
    »Er war fast vier Jahre älter als ich.« Es bedurfte nicht der Vergangenheitsform, um ihr mitzuteilen, daß Josh tot war. Das hatte sie in dem Moment gewußt, als Ben den Namen ausgesprochen hatte. »Er war einer von den Menschen, denen alles gelingt. Ganz gleich, was er anpackte, er machte es besser als jeder andere. Als wir Jungs waren, hatten wir einen Baukasten. Wenn ich ein kleines Auto zusammenbaute, dann baute Josh einen Lastwagen mit allem Drum und Dran. In der Schule kam ich vielleicht auf eine Zwei, wenn ich vorher wie wild gebüffelt hatte. Josh hatte stets die besten Zensuren, ohne daß er ins Schulbuch zu sehen brauchte. Er nahm das, was 407
    im Unterricht gesagt wurde, einfach in sich auf. Meine Mutter pflegte zu sagen, er sei ein begnadeter Mensch. Sie hoffte immer, daß er Priester werden würde, weil er nach seiner Ordination wahrscheinlich imstande gewesen wäre, Wunder zu wirken.«
    Das sagte er nicht mit dem Groll, den viele Geschwister empfunden hätten, sondern mit einer Spur von Humor und mit unverhohlener Bewunderung.
    »Du mußt ihn sehr geliebt haben.«
    »Manchmal habe ich ihn auch gehaßt«, erwiderte er mit einem Achselzucken, denn er wußte, daß Haß oft die Hitze ist, in der echte Liebe wie Stahl gehärtet wird. »Aber meistens hielt ich ihn einfach für toll. Er hat mich nie tyrannisiert. Nicht daß er es nicht gekonnt hätte. Er war wesentlich größer und stärker als ich, aber so was entsprach einfach nicht seinem Temperament. Nicht daß er ein Tugendbold gewesen wäre. Er war einfach ein guter Mensch, im tiefsten Innern ein guter Mensch.
    Als wir heranwuchsen, hatten wir gemeinsam ein Zimmer. Eines Tages entdeckte Mutti die Playboys, die ich im Zimmer versteckt hatte, und machte Anstalten, die Lust aus mir herauszuprügeln. Josh sagte, daß sie ihm gehörten und daß er eine Arbeit über Pornografie und deren Auswirkungen auf das Verhalten von Teenagern schreibe.«
    Tess mußte lachen. »Und das hat sie ihm abgekauft?«
    »Ja, hat sie.« Selbst jetzt mußte er noch grinsen, als er daran dachte. »Josh hat nie gelogen, um seine eigene Haut zu retten, nur wenn er meinte, das sei das Beste, was man tun könne. Auf der Oberschule war er Quarterback im Footballteam. Die Mädchen lagen ihm alle zu Füßen.
    Verständlicherweise nutzte er das ab und an, aber in ein Mädchen verknallte er sich ziemlich heftig. Es war typisch 408
    für ihn, sich auf eine zu konzentrieren, statt, nun ja, den Baum leerzupflücken. Trotzdem war es nach meinem Dafürhalten ein riesengroßer Fehler, daß er sich mit ihr eingelassen hat. Sie war hinreißend und intelligent und stammte aus einer Familie, die was Besseres war. Sie war jedoch auch oberflächlich. Doch er war verrückt nach ihr, und in seinem letzten Schuljahr hob er all seine Ersparnisse ab und kaufte ihr einen Diamantring. Nicht irgendwas Kleines, sondern einen richtigen Klunker.
    Damit protzte sie dann herum, um die anderen Mädchen neidisch zu machen.
    Über irgend etwas gerieten sie in Streit. Er hat mir nie erzählt, worum es dabei ging, aber es war ein echtes Zerwürfnis. Josh hatte ein Stipendium für Notre Dame bekommen, doch am Tag nach dem Schulabschluß
    meldete er sich freiwillig bei der Armee. Andere Teenager protestierten gegen Vietnam, rauchten Pot und trugen pazifistische Abzeichen, doch Josh beschloß, seinem Land ein paar Jahre seines Lebens zu schenken.«
    Ben nahm sich eine Zigarette und zündete sie an – die erste, seit er angefangen hatte zu erzählen. Das Ende glimmte rot im matten Licht, das auf ihn fiel. »Meine Mutter hat dicke Tränen vergossen, doch mein Vater platzte fast vor Stolz. Sein Sohn war kein Drückeberger und kein haschender Collegestudent, sondern ein echter Amerikaner. Mein Vater ist ein einfacher Mensch, so hat er eben gedacht. Ich selbst stand damals eher links. Im Herbst sollte ich

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