Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
Anspielungen, nimmt mich ungebührlich eng in den Arm oder küsst mich sogar. Wenigstens beschränkten sich solche Anzüglichkeiten bisher nur auf Momente, in denen wir alleine waren. Aber gerade vorhin, als ich vor dem Ratsgebäude auf Meatril wartete, kam er einfach auf mich zu, packte mich und drückte mir einen Kuss auf den Mund – direkt vor all den Leuten, die ihn als neuen König von Fendland bejubelten. Auch Meatril hat das mitangesehen und dementsprechend ungehalten reagiert. Absurderweise war er allerdings nicht seinem verehrten Meister böse, sondern mir!« Daia wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Und was Arden betrifft, es schien beinahe, als wollte er seinen Sieg komplett machen, indem er allen zeigte, dass er auch mich erobert hat. Irgendwie fand ich das demütigend.«
Tarana nickte verständnisvoll. Erneut überraschte sie die Offenheit, mit der Daia über ihre Gefühle sprach. Es war sicherlich kein Ruhmesblatt, dass sie ihren zukünftigen Ehemann Meatril mit dem berüchtigtsten Frauenschwarm der Stadt betrogen hatte, dennoch versuchte sie nun, ihrem Gefährten die Treue zu halten. Dass Arden dies nicht hinnahm, war zu erwarten gewesen, denn wie es seine Art war, fühlte er sich durch alles herausgefordert, was er nicht sein Eigen nennen konnte. Ob das nun Frauen, Wertgegenstände oder Titel waren, machte kaum einen Unterschied. Wenn er etwas sah, das sein Gefallen fand, wurde es von ihm rücksichtslos eingefordert, als habe er aus unerfindlichen Gründen ein Recht darauf.
Tarana setzte sich neben die trübsinnig zu Boden starrende Daia und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wenn Meatril dich wirklich liebt, wird er nicht zulassen, dass Arden sich zwischen euch drängt. Er wird erkennen, dass sein neuer König ein selbstsüchtiger, verantwortungsloser Blender ist, und sich von ihm abwenden. Du wirst sehen, die Göttin schützt die Liebenden.«
Daia sah die Istanoit mit wässrigen Augen an und schüttelte traurig den Kopf. »Dich und Arton hat Bajula nicht beschützt.«
Bitterkeit wallte bei diesen Worten von Neuem in Tarana auf. Sie nahm ihre Hand von Daias Schulter und ließ den Kopf sinken. »Du hast recht«, erwiderte sie tonlos. »Aber vielleicht hat er mich nicht so geliebt wie ich ihn. Vielleicht hielt die Göttin unsere Liebe nicht für schützenswert.«
Plötzlich legte die junge Adelige ihrerseits den Arm um die Istanoit. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Du versuchst, mich zu trösten, und ich bohre wieder meinen Finger in deine Wunde. Dabei hast du viel mehr erleiden müssen als ich, deshalb solltest du diejenige sein, die Trost erfährt. Wenn du also irgendwann meine Hilfe brauchen solltest, egal bei was, dann bin ich für dich da, das verspreche ich.«
»Tja, vielleicht muss ich darauf schon bald zurückkommen«, antwortete Tarana leise. Im tiefsten Inneren fühlte sie sich schrecklich einsam, und das überraschend offene Gespräch tat ihr gut. »Wie es aussieht, erwarte ich ein Kind.«
Daia bekam große Augen. »Du bist schwanger? Von Arton?« Sie lachte und beantwortete ihre Frage gleich selbst: »Ja natürlich, von wem sonst. Das ist ja wunderbar! Ich gratuliere! Dann hat Bajula eure Liebe also sehr wohl gesegnet.«
Diesen Gedanken empfand Tarana als äußerst tröstlich, denn wenn sich die Göttin auf solche Weise der Verbindung gewogen gezeigt hatte, konnte dies als sicheres Zeichen dafür gelten, dass Arton sie doch aufrichtig geliebt hatte.
NARBENGESICHT
D ie Ausmaße der Mine von Andobras waren schlichtweg gigantisch. Allein von der Haupthöhle, in die Barat und Rai mit dem Förderkorb hinabgelassen worden waren, führten sechs Gänge tiefer in den dunklen Fels hinein. Vier davon waren in jahrelanger Arbeit in das Gestein geschnitten worden, die beiden anderen schienen wie die Eingangshöhle natürlichen Ursprungs zu sein. Dort befand sich der so genannte Wohnbereich, was nichts anderes war, als eine unüberschaubare Vielzahl von Nischen und Kammern entlang zwei Spalten, die den Fels durchzogen. Die Quartiere waren alle mehr oder weniger feucht, zum Teil völlig überfüllt, und es stank dort erbärmlich nach menschlichen Ausscheidungen. Trotz des unzumutbaren Zustandes dieser Unterkünfte verlangte Ulag je nach Größe des bewohnten Bereichs das Äquivalent von bis zu zehn Tagesrationen Nahrung in Eisenerz. Dies stellte eine vollkommen überzogene Forderung dar, wenn man bedachte, dass diese Menge zusätzlich zu dem aufgebracht werden musste, was
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