Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
gesehen, trotzdem beschlich den erprobten Schwertkämpfer das beklemmende Gefühl, dieser Kampf würde noch härter werden als vermutet. Nahezu vierzig der zwergenhaften Figuren versammelten sich neben den Tempelwächtern auf dem Vorplatz. Ihre Reihen waren nicht so geordnet wie die der Soldaten, aber sie bewegten sich äußerst flink und stets als Einheit ähnlich einem Vogelschwarm. Als Letztes durchschritt ein Mann in einer langen schwarzen Robe mit schneeweißen Ärmeln und Kragen das Tempeltor, der seine Arme weit ausgebreitet gen Himmel hob, als wolle er eine Gunst von den Göttern erflehen. Sein Kopf war kahl rasiert bis auf einen kreisförmig kurz geschnittenen Bereich auf seiner Schädeldecke, der von vier strahlenförmigen Haarstreifen umstanden war. Die eigentümliche Haartracht bildete auf diese Weise das im Cittempel allgegenwärtige Symbol der Sonne, was den Mann neben seiner Kleidung als hochgestellten Priester des obersten aller Götter auswies. Um die Erhabenheit seines Amtes noch weiter zu betonen, hatte der Diener des himmlischen Auges sein so kunstvoll rasiertes Haupthaar mit einer goldenen Farbe oder sogar Goldpuder eingefärbt. Er schien äußerst angespannt und murmelte wohl unablässig irgendein Gebet vor sich hin, denn seine Lippen bewegten sich deutlich sichtbar, ohne dass dabei ein Laut zu vernehmen war.
Auch wenn dieser eigenartige Aufmarsch Arton kurzzeitig in Erstaunen versetzt hatte, so vergaß er doch nicht, dass es sich dabei um Gegner handelte, die es zu bezwingen galt. Die Gefahr, welche von den merkwürdigen, verhüllten Gnomen ausging, vermochte er natürlich nicht einzuschätzen, aber es war nun ohnehin zu spät für einen Rückzug. Jetzt würde sich zeigen, wie wichtig den ehemaligen Sklaven ihre neu gewonnene Freiheit wirklich war.
»Ihr fünf bewacht das Tor«, befahl er den Arbeitern, die ihn aus dem Wachturm begleitet hatten. Dann rief er in voller Lautstärke: »Folgt mir! Für unsere Freiheit!«
Dieser Ausruf wurde von den Arbeitern mit frenetischem Gebrüll aufgenommen. Es hatte sich bereits spüren lassen, dass ihr Selbstbewusstsein gewachsen war nach dem Sieg über die Wachen des Bergwerks, aber nun hatten sie das Eingangstor einer schwer befestigten königlichen Burg eingenommen und standen kurz vor der Eroberung der gesamten Feste. Das verlieh ihnen ein noch nie gekanntes Gefühl der Stärke und der Zusammengehörigkeit. Sie wollten diesen Kampf um jeden Preis gewinnen, jetzt, da sie den Lohn für ihre Mühen bereits in greifbarer Nähe sahen. Und sie folgten einem Anführer, der den für unbesiegbar gehaltenen Ulag, die Geißel des Bergwerks von Andobras, überwunden und ihnen die für immer verloren geglaubte Freiheit wiedergegeben hatte. Dieser Mann vollbrachte das Unmögliche, er würde sie auch zum Sieg über diese Schar absonderlicher Tempelkrieger führen. Deshalb rannten sie nun Seite an Seite mit erhobener Klinge über den Burghof, um sich auf einen unbekannten Feind zu stürzen, vor dem sie normalerweise die Flucht ergriffen hätten. Diesmal gab es keine zahlenmäßige Überlegenheit, denn ein Teil ihrer Kameraden war noch immer in der Kaserne und beim Speisesaal gebunden. Auch fehlte jegliches Überraschungsmoment, da sie sich dem Feind in einem Sturmangriff näherten, als wären sie reguläre Soldaten auf dem Schlachtfeld. Nun würde sich herausstellen, ob ihr Mut nicht ihre Fähigkeiten überstieg. Selbst Barat, der als Einziger aus eigener Erfahrung wusste, welch schreckliche Gegner die gesichtslosen Kreaturen in den schwarzen Mänteln darstellten, ließ sich von der Begeisterung mitreißen. Wie eine Woge trug ihn der plötzliche Siegeswille seiner Mitstreiter voran und verdrängte den anfänglichen Schock über das Auftauchen der einstigen Wächter von Arch Themur. Er hatte für sich beschlossen, einfach in Artons Nähe zu bleiben, denn schließlich hatte dieser bisher noch jeden Kampf für sich entschieden.
Die Verteidiger des Tempels hatten sich ebenfalls in Bewegung gesetzt, wenngleich auch wesentlich disziplinierter und gemessenen Schrittes. Die beiden Gruppen prallten daher etwa auf halber Höhe zwischen Kaserne und Tempel aufeinander. Einige sehr enthusiastische Angreifer aus den Reihen der Arbeiter hatten sich mit voller Wucht gegen die Linie der Feinde geworfen und mit dem Schwung des Ansturms diese sogar durchbrochen. Doch die Unglücklichen fanden sich bald isoliert von ihren Kameraden inmitten gegnerischer Kämpfer. Besonders wenn sie
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