Vermächtnis des Pharao
kam zu einer Stelle, wo mehrere große flache Felsen wie Stufen zum Wasser hinunter führten. Trotz der späten Stunde herrschte hier aufgeregtes Treiben. Umgeben von einer Wolke summender Fliegen sprangen flügelschlagend sieben oder acht Geier umher, schüttelten die nackten roten Hälse, hoben und senkten die Köpfe und fraßen weiter von etwas, das aussah wie ein unregelmäßig geformter, kleiner schwarzer Haufen, der halb im Wasser, halb am Ufer lag. Als Huy näherkam, wehte ihm der Wind den Gestank in die Nase. Es drehte ihm den Magen um, aber er zwang sich, weiterzugehen. Die großen Vögel beäugten ihn irritiert und mißtrauisch, wichen aber nicht zurück. Einer senkte den Kopf und hob ihn ruckartig wieder; ein langer Streifen roten Fleisches hing aus seinem Schnabel.
Es waren zwei Leichen, unordentlich übereinander geworfen, so daß sie ineinander verschlungen waren. Beide Gesichter waren nach oben gewandt, und Huy sah, daß die Augen schon weg waren - als erste herausgehackt, damit die Vögel mit ihren nackten Köpfen durch die Höhlen hindurchstochern und nach dem Gehirn dahinter angeln konnten. Einer hatte gerade wie ein Strauß den Kopf in einer der Leichen vergraben. Ein anderer bohrte und hackte durch den After des anderen Toten nach Fleisch.
Einer der beiden Männer war durch einen Schwertstreich von hinten getötet worden. Der andere war schlimmer zerfleischt; er hatte sich offenbar noch zur Wehr gesetzt. Huy erkannte den Leichnam nicht, obwohl noch genug vom Gesicht übrig war, daß man ihn hätte erkennen können.
Der erste Mann war älter und von massiger Gestalt. Im Tod verzerrt, hatte sein Gesicht den Ausdruck störrischer Kraft behalten, und in der herabsinkenden Dunkelheit schien es, als konzentriere sich in den blicklosen Höhlen, die seine Augen enthalten hatten, noch immer große Macht. Der bucklige Rücken wölbte den liegenden Körper hoch; der Kopf war in den Nacken gefallen, und der Klumpfuß zum Körper verrenkt.
Ein Geier taumelte an der Felskante entlang, verlor für einen Moment das Gleichgewicht und krallte haltsuchend eine Klaue in den verformten Fuß.
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Es waren fünfzehn Barken, quer über die ganze Breite des sich erweiternden Flusses verteilt, die in Deltaformation stromaufwärts segelten. Im Zentrum des V fuhr die goldene Königsbarke; ihr geschmückter Bug teilte das rote Wasser und drängte es zur Seite. Der Nordwind wehte stetig hinter dem Boot und blähte das goldbetreßte Segel. Die Ruderer hatten es leicht, aber ihre Kollegen auf den Barken der Eskorte muß-ten sich anstrengen, um mitzukommen.
Die kleineren Barken, die das Geleit bildeten, waren Handelsschiffe, die für diese Reise zu Kriegsschiffen umgebaut worden waren; ihre Decks waren umgebaut, und an Bord eines jeden befand sich ein Kontingent von Marinesoldaten, die vom Besitzer des Bootes ausgerüstet und bezahlt worden waren. Das königliche Flaggschiff, das größte Schiff des Pharao nach der königlichen Barke, segelte an der Spitze der Flotte, und die dritte im Ostflügel des V war die Herrlichkeit-des-Amun.
Taheb stand mittschiffs auf der Steuerbordseite und schaute hinüber zur königlichen Barke; sie sah den Knabenkönig unter einer weißen Leinenplane sitzen, und Pfauenfederfächer in den Händen massiger nubischer Leibdiener fächelten ihm Kühlung zu. Seine Haut hatte die Farbe von hellem Kaffee, und sein Körper war spindeldürr und leicht gebeugt. Sein Gesicht hatte große Ähnlichkeit mit Echnaton, aber selbst auf diese Entfernung sah man, daß sein Blick härter war.
Taheb dachte an die Jahre, die zwischen dem Heute und der Volljährigkeit des jungen Königs lagen. Alle Machtkämpfe, dessen war sie sich sicher, würden in den ersten paar Monaten gewonnen oder verloren sein und zwar am Hofe - Haremhebs - so nannte sie bei sich diesen Ort. Was der König, wenn er mit dreizehn volljährig wäre, tun würde, um die Macht des Generals zu beschneiden, wußte sie nicht. In atemberaubend kurzer Zeit hatte der General sich nicht nur völlig vom alten Regime und vom Atonskult gelöst, sondern auch eine eindrucksvollere Sammlung von Titeln erhalten, als sie je einem Gemeinen in der Geschichte des Schwarzen Landes verliehen worden war. Taheb wußte, welchem Stern ihr Wagen zu folgen hatte. Haremheb war jetzt der Größte der Großen, der Mächtigste der Mächtigen, der Große Beherrscher des Volkes, der Bote des Königs an der Spitze Seiner Armee im Norden und im Süden, der Auserwählte des
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