Vermächtnis des Pharao
nachdem seine Welt so auf den Kopf gestellt worden war? Würde er noch heute sterben, man würde ihn in eines der Massengräber legen, dazu - wenn er Glück hätte - zwei irdene Krüge mit Gerste, die ihm im Nachleben Gesellschaft leisten sollten. Wieso klammerten sich seine Landsleute nur so heftig an den Glauben an ein Leben nach dem Tod, wenn ihre Nachkommen sie doch schon binnen einer Generation vergaßen und die Flüche auf den Grabtüren ignorierten, die jedem galten, der den Ka des hier Ruhenden zu versorgen und zu speisen vergaß?
Rechmire plagten keine Zweifel. Der Hohepriester des Unterweltgottes mußte auf seinem Glauben wie auf seinem Status beharren.
Huy kam jetzt an bescheideneren Gräbern vorbei; sie gehörten mittleren Beamten, Geschäftsleuten und Frauen, deren Vermögen es nicht gestattete, genau in der Mitte des Tales zu graben. Hier hatte Rechmire zwanzig Jahre zuvor sein erstes Grab begonnen - schon zu Anfang seiner Laufbahn war er kein Risiko eingegangen, was sein Nachleben anging.
Der Eingang zu Rechmires erstem Grabgewölbe lag weit ab von allen Neubauten und war viel kleiner als die neue Anlage, die seine wichtige Position verlangte, aber Huy fand sie problemlos, und als er die schon verwitterte Kartusche mit dem Namen des Priesters neben dem Eingang entzifferte, wußte er, daß er recht hatte. Daß jemand hier Wache stehen sollte, erschien unwahrscheinlich. Seit Jahren schien niemand mehr dagewesen zu sein. Der Eingang war teilweise von Geröll versperrt, das entweder heruntergebrochen oder nach anderen Grabungen hier abgeladen worden war.
Die Steine waren von Disteln und kärglichem, graugrünem Gras überwuchert; eine große Eidechse, die Huy aufgestört hatte, huschte davon. Er kletterte auf den Geröllhaufen und spähte in das schwarze Loch, das vom Grabeingang übriggeblieben war. Darin war es so dunkel, daß er nichts erkennen konnte. Er kletterte auf demselben Weg zurück und ging vorsichtigen Schritts um den großen, wie ein Schiff geformten Felsen herum, in den das Grab gehauen war und dessen Spitze, von Unkraut und Disteln überwuchert, die Umgebung überragte.
Er hatte die westliche Ecke erreicht und wollte eben am Nordhang entlang weitergehen, als ihm die Öffnung ins Auge fiel. Sie war kaum größer als ein Spalt, aber an der breitesten Stelle immerhin einen Schritt weit, und ringsherum war der Boden abgetreten und frei von Gras. Bei genauem Hinssehen konnte man sogar einen Pfad erkennen, der vom tiefergelegenen trockenen Gelände heraufführte. Allerdings hatte sich jemand bemüht, ein paar Pflanzen darüberzubreiten. Huy schaute in seinem Beutel nach dem Feuerstein und der Öllampe, die er mitgenommen hatte, und ließ sich nach einem letzten Blick in die Runde durch den Spalt hinunter in das Grab fallen.
Es war heller, als er erwartet hatte; als seine Augen sich an die Düsternis gewöhnt hatten, sah er, daß durch drei oder vier der Luftschächte, die die Arbeiter damals durch den Fels gebohrt und nicht wieder zugeschüttet hatten, Säulen aus Sonnenlicht hereinfielen.
Der Raum, in dem er stand, mußte als Innenkammer gedacht gewesen sein, denn am hinteren Ende waren die Anfänge der Grabungsarbeiten für den Schacht zu sehen, der senkrecht hinunter zu einem kleinen Raum führen sollte, der dem Sarkophag Vorbehalten war. Unmittelbar davor stand eine Statue auf einem Sockel. Die Pose war formell, aber der Kopf war erstaunlich lebensecht, und obwohl der Körper von Buckel und Klumpfuß befreit worden war, gehörte das massige Gesicht, das da scheel herniederspähte, unverkennbar Rechmire - allerdings zwanzig Jahre jünger.
Der Boden war rauh und uneben. Huy bückte sich und sah, daß scharfkantige Steine aus dem roten Sand ragten. Er betastete einen und zog hastig die Hand zurück. Es war ein scharfgeschliffener Feuerstein. Offenbar hatten Arbeiter irgendwann ihre abgenutzten Werkzeuge in das aufgelassene Grab geworfen. Aber die Steine waren seitdem nicht ungestört liegengeblieben. Rillen zogen sich über den rauhen Boden. Jemand war darüber hinweggeschleift worden. Wie lange war das her?
Wann waren die Arbeiten wohl abgebrochen worden? Vor fünf Jahren? Vor zehn? Eher früher als später, denn alle Grabbauarbeiten waren hier praktisch zum Stillstand gekommen, als der Hof nach Norden verlegt wurde. Aber obwohl an diesem Grab schon lang nicht mehr gearbeitet wurde, waren in den letzten Tagen Leute hier gewesen. Man sah die Überreste von zwei Feuern, und in einer Ecke
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