Vermählung um Mitternacht
Großvater einen Haufen Moralapostel als Testamentsvollstrecker eingesetzt hatte. Zweimal hatte er sich mit ihnen getroffen, und jedes Mal war er sich vorgekommen wie ein Schwerverbrecher. Er seufzte. »Wir können nur das Beste hoffen.«
Lucien zog die Brauen hoch. »Und wenn das Testament gilt? Was wirst du dann tun?«
»Dann werde ich ...« Plötzlich fiel Alec auf, dass er sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie sein Leben nach der Hochzeit weitergehen würde. Was sollte er nur tun?
Es war der Höhepunkt eines abscheulichen Albtraums, wie er säuerlich befand. Sein Erbe hatte ihn, den sorglos dahinlebenden Ausgestoßenen, umgehend zum begehrtesten Junggesellen Londons gemacht. Die Leute rissen sich um ihn. Earls, Dukes, Lords und Ladys, sie alle suchten seine Gesellschaft, ganz als hätten sie ihn vorher nicht mit kaum verhohlener Verachtung behandelt, weil er nur über einen schottischen Titel verfügte. Als reichstem Mann Englands war ihm' der allgemeine Beifall auf einmal gewiss.
In den Monaten nach dem beunruhigenden Wandel hatte Alec sich noch ungeheuerlicher verhalten: Er hatte einen ganzen Harem gefallener Mädchen mit ins Theater genommen, war überall betrunken erschienen und hatte einen gemeinen Boxer zum Dinner im Carlton House mitgebracht. Eigentlich hätte er sich prächtig amüsieren müssen, aber seltsamerweise langweilte Alec sich. Jemand, dem ein solches Vermögen zur Verfügung stand, konnte einfach nichts falsch machen. Vermutlich hätte er splitternackt die Pall Mall hinunterlaufen können, und es hätte trotzdem niemand ein Wort darüber verloren.
Aber das war nicht das schlimmste Problem. Dank des Kodizills musste er sich nun bei den parfümierten Erbanwärtern einreihen, die er so verachtete, und mit ihnen um die Wette lächeln.
Plötzlich bemerkte er Luciens neugierigen Blick. Er rang sich ein Lächeln ab. »Nichts einfacher als das. Julia und ich werden einen Hausstand gründen und ein Jahr lang ein Leben gepflegter Langeweile führen, und zwar ab morgen.«
»Aber sie ist der Dra...« Edmund konnte seine Zunge gerade noch im Zaum halten und lief knallrot an. »Es wird nicht leicht werden.«
Alec zuckte mit den Schultern. »Julia kennt sich aus. Sie war Anstandsdame.«
»Nein, Edmund hat Recht«, sagte Lucien. »Julia weiß, wie man liebeskranke junge Männer verscheucht, aber von vornehmer Lebensart hat sie keine Ahnung. Was sich eine leicht exzentrische Anstandsdame vielleicht noch herausnehmen kann, darf sich die neue Viscountess Hunterston noch lange nicht leisten.«
Edmund stützte sein Kinn in die Hand. »Gehört sie nicht zu diesen Reformern? Irgendwer hat letzte Woche irgendwas in der Richtung erwähnt. « Er runzelte die Stirn. »Wenn ich mich nur erinnern könnte.«
»Sie setzt sich für die Vereinigung für Frauen in Not« ein«, entgegnete Alec kurz angebunden. Je rascher alles herauskam, desto besser.
Edmund setzte sich bolzengerade auf und schnippte mit dem Finger. »Jetzt weiß ich’s wieder! Dunstons Schwester hat es mir erzählt, Lady Nottley. Wahrscheinlich kennst du Lady Nottley nicht, sie ist ein keifender Dragoner, ungefähr doppelt so dick wie du, Lucien. War mit Nottley verheiratet, bis sie ihn in den Wahnsinn getrieben hat. Dunston rennt jedes Mal davon, wenn er sie kommen sieht. Behauptet, sie hätte einen tödlichen linken Haken, aber ...«
»Kommst du wohl irgendwann einmal auf den Punkt?« erkundigte sich Lucien ätzend.
Edmund sah ihn beleidigt an. »Natürlich. Lady Nottley berichtete, Therese beschwere sich, dass der Drach...« Er schluckte und warf Alec einen Verzeihung heischenden Blick zu. »Ich meine, dass Lady Hunterston oft stundenlang verschwunden ist. Danach kommt sie dann total verdreckt nach Hause, wie eine Küchenmagd. Anscheinend geht sie in die Elendsquartiere und kehrt erst nach Einbruch der Dunkelheit zurück. Mir ist egal, was du sagst, Alec - die Leute fangen bestimmt an zu reden, wenn sie so weitermacht.«
Alecs Miene verfinsterte sich. »Unsinn.«
»Sie wird damit aufhören müssen«, erklärte Edmund sachlich. »Du kannst dir keinen Skandal erlauben, und man weiß nie, worüber sich die Leute aufregen.«
Alec stellte sein Glas auf den Tisch. »Wieso sollte Julia einen Skandal heraufbeschwören, wenn sie sich für eine wohltätige Vereinigung einsetzt? Das tun doch viele Mitglieder des ton . Luciens Tanten unterstützen zusammen ein halbes Dutzend Organisationen.«
»Ja, aber nur finanziell«, meinte
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