Vermaehlung um Mitternacht
wütend ein. „Wo, zum Teufel, hat mein Großvater diese Tugendwächter bloß kennengelernt?“
„Wahrhaftig, Mylord, mäßigen Sie sich. Ihr Großvater hatte nur Ihr Bestes im Sinn, als er so ehrenwerte Herren wählte.“
Julia wünschte, der Mann würde endlich den Mund halten. Mit seinem salbungsvollen Gerede reizte er Alec bloß zur Weißglut. Ihr Mann krampfte schon die Hände um die Armlehnen und wirkte, als wolle er sich jeden Moment auf sein Gegenüber stürzen. Beruhigend legte Julia ihre Hand auf die seine und wandte sich an den Anwalt. „Ich bin sicher, dass die Testamentsvollstrecker ganz vorbildliche Gentlemen sind, Mr. Pratt.“
Das schien ihn zu besänftigen. „Danke, Mylady. Das sind sie in der Tat.“ Der Anwalt warf Alec einen scharfen Blick zu und rümpfte die Nase. „Ich sollte Sie darauf hinweisen, Mylord, dass schon viele Güter durch schlechte Verwalter verloren gingen. Es gab Fälle, wo die Testamentsvollstrecker in die eigene Tasche wirtschafteten.“
„Ich hätte nichts dagegen, ihnen was von dem verfluchten Vermögen abzugeben, wenn sie dafür mit ihrem Getue aufhören würden.“
Julia kam dem Anwalt zuvor: „Wie lange, meinen Sie, wird es wohl dauern, bis die Mittel freigegeben werden?“
„Zwei, vielleicht drei Monate, wenn ...“
Alec fuhr hoch. „Völlig inakzeptabel! Wenn Julia und ich in der vorgesehenen Zeit unseren Platz in der Gesellschaft einnehmen wollen, brauchen wir Zugang zum Vermögen.“
Julia nickte. Das brauchten sie in der Tat. Und sie hatte nicht die Absicht, monatelang tatenlos herumzusitzen, wenn sie so vielen Menschen helfen konnte.
Mr. Pratt runzelte die Stirn. „Bestimmt verstehen Sie, Mylord, dass sich solche Angelegenheiten sehr lang hinziehen können, aber ich versichere Ihnen, dass ich jede Anstrengung unternehmen werde ..."
„Dürfte ich das Testament einmal sehen?“ fragte Julia. Sie hatte genug von dem Hickhack. Allmählich kehrten ihre Kopfschmerzen wieder.
Der Anwalt zog die Augenbrauen hoch. „Es ist ein kompliziertes juristisches Dokument. Ich bezweifele, dass Sie in der Lage sind, es zu entschlüsseln.“
„Ich habe schon viele juristische Dokumente gelesen, Mr. Pratt. Am Schuldgericht, wissen Sie.“
Er riss den Mund auf. „Am Schuldgericht?“
„Armut.“
„A-armut?“
„Lady Hunterston setzt sich sehr für die Wohlfahrt ein“, erklärte Alec hastig und warf seiner Frau einen warnenden Blick zu.
Die Miene des Anwalts hellte sich auf. „Ach so, die Wohlfahrt! Das ist ja sehr edel von Ihnen, Lady Hunterston, und für eine Dame in Ihrer Position überaus passend.“
„Ich bin nicht edel, ich tue, was nötig ist.“ Sie wollte noch einmal um das Testament bitten, doch da nahm Alec ihre Hand, und sie bemerkte nur noch die Wärme, die von seinem Griff ausging. Sie starrte auf seine Hand, auf die langen, eleganten Finger, und wünschte sich, sie trüge keine Handschuhe.
„Mr. Pratt, das Testament, wenn ich bitten darf“, sagte Alec. Der Anwalt schien verblüfft zu sein. „Sie haben das Dokument doch schon mehrfach gesehen, Mylord. Gewiss möchten Sie nicht noch ..."
„Bis zum heutigen Tag war ich mit den Diensten von Pratt, Pratt & Son sehr zufrieden. Ursprünglich hatte ich sogar geplant, Sie als meinen persönlichen Anwalt mit der Aufsicht über die Auszahlung zu beauftragen.“
Der Anwalt erbleichte. „Euer Lordschaft! Unsere Kanzlei vertritt die Familie Bridgeton seit...“
„Wenn Sie Lady Hunterston beleidigen, lassen Sie mir keine Wahl. Sie ist meine Frau.“ Alec hob Julias Hand in seiner, drehte sie um, schob sorgfältig den Handschuh beiseite und drückte ihr einen Kuss auf die nackte Haut. „Sie verstehen, wenn ich Anstoß daran nehme, dass Sie ihr eine solche Kleinigkeit verweigern.“ Obwohl Julia ganz genau wusste, dass das Ganze nur Theater war, mit dem ihr Mann den Anwalt nur einzuschüchtern versuchte, vergaß sie alles um sich herum ... wo sie war, was sie erreichen wollten, warum sie dieses vermaledeite Testament überhaupt hatte in Augenschein nehmen wollen. Alles, bis auf die Hitze, die ihr in die Glieder schoss, als sie Alecs Lippen auf ihrer nackten Haut spürte. Selbst als er sie wieder losgelassen hatte, konnte sie den Blick nicht von der Stelle wenden, die Alec berührt hatte.
Mr. Pratt schluckte geräuschvoll. „Ich wollte doch nie andeuten ... natürlich möchte ich Lady Hunterston in jeder nur erdenklichen Weise unterstützen.“ Er zog eine Schublade auf, holte einen Stapel
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