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Verneig dich vor dem Tod

Verneig dich vor dem Tod

Titel: Verneig dich vor dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sich, die Befürchtungen, die sie überfielen, zu verscheuchen. Sie hoffte, er würde nicht allzu lange Zeit in diesem Ort … Seaxmund’s Ham … bleiben. Dann fühlte sie sich schuldig wegen dieses selbstsüchtigen Gedankens. Warum erwartete sie, daß er in ihr Land zurückkehren wollte? Doch ihr fehlte ihre Heimat. Sie war genug gereist. Sie wollte zur Ruhe kommen.
    Sie merkte, daß Eadulf sie über den Tisch hinweg anlächelte.
    »Tut es dir nicht leid?« fragte er.
    Sie spürte, wie sich ihre Wangen röteten.
    »Was soll mir leid tun?« fragte sie zurück, obgleich sie genau wußte, was er meinte.
    »Daß du mitgekommen bist in mein Land?«
    »Es tut mir nicht leid, daß ich mit dir zusammen bin«, formulierte Fidelma ihre Antwort vorsichtig.
    Eadulf betrachtete sie forschend. Er lächelte, doch sie sah, wie ein Schatten über seine Augen huschte. Bevor er noch etwas sagen konnte, faßte sie rasch seine Hand.
    »Wir wollen für den Augenblick leben, Eadulf.« Ihr Ton war ernst. »Wir haben uns geeinigt, daß wir den alten Brauch meines Volkes befolgen und ein Jahr und einen Tagzusammenbleiben wollen. Ich habe zugestimmt, so lange deine
ben charrthach
zu sein. Damit mußt du dich zufriedengeben. Alles, was länger gelten soll, erfordert viel juristische Überlegung.«
    Eadulf wußte, daß das Volk der fünf Königreiche von Éireann ein sehr kompliziertes Rechtssystem besaß, das mehrere Definitionen einer richtigen Ehe enthielt. Fidelma hatte ihm auseinandergesetzt, daß es nach irischem Recht neun unterschiedliche Typen von Verbindung gab. Der Ausdruck, den sie gebraucht hatte,
ben charrthach,
hieß wörtlich »Geliebte«. Eine
ben charrthach
war noch nicht eine gesetzlich gebundene Ehefrau, aber eine Frau, deren Stand und Rechte durch das Gesetz des
Cáin Lánamnus
anerkannt waren. Es handelte sich um eine Ehe auf Probe, die ein Jahr und einen Tag dauerte. Glückte sie nicht, konnten beide Teile wieder getrennte Wege gehen, ohne sich eine Strafe oder einen Tadel zuzuziehen.
    Fidelma hatte sich nicht dafür entschieden, weil sie Mönch und Nonne waren. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, daß dies ein Hindernis für eine Heirat sein könnte. Kein Mönch und keine Nonne, ob sie nun der Lebensweise Colmcilles oder den Regeln Roms oder irgendeiner anderen christlichen Kirche folgten, sahen das Zölibat als eine notwendige Bedingung für einen religiösen Beruf an. Es gab allerdings eine wachsende Minderheit, die die Ehen von Geistlichen verurteilte und das Zölibat als den wahren Weg derer pries, die sich dem neuen Glauben widmeten. Mehr Sorge bereitete es Fidelma, daß eine Heirat mit Eadulf als eine unstandesgemäße Ehe gelten könnte – falls ihr Bruder, König Colgú von Muman, überhaupt seine Zustimmung dazu gab. Eine solche Ehe besaß zwar rechtliche Gültigkeit,bedeutete aber, daß Eadulf, als ein Ausländer ohne Grundbesitz in Muman und ohne den fürstlichen Rang Fidelmas, nicht die gleichen Besitzrechte genießen würde wie seine Ehefrau. Da sie Eadulfs Charakter kannte, meinte Fidelma, daß es nicht unbedingt eine Aussicht auf eine glückliche Ehe böte, wenn Eadulf sich nicht rechtlich mit ihr gleichgestellt fühlen würde.
    Es gab natürlich auch andere Formen der Ehe. Nach dem Gesetz konnte ein Mann mit einer Frau in ihrem Hause zusammen wohnen, wenn ihre Familie das erlaubte, oder sie konnte offen mit ihm davongehen ohne die Zustimmung ihrer Familie und doch einige Rechte behalten. Fidelmas Problem bestand darin, daß sie inzwischen zwar ernsthaft über eine Heirat mit Eadulf nachdachte, aber nicht wußte, welchen Weg sie einschlagen sollte. Außerdem war sie davon ausgegangen, daß ihre gemeinsame Zukunft in Cashel liegen würde. Die letzten Wochen mit Eadulf in den angelsächsischen Königreichen hatten Zweifel bei ihr geweckt.
    Eadulf unterbrach ihre Gedankengänge.
    »Habe ich denn gesagt, ich wäre nicht zufrieden, Fidelma?« Eadulf lächelte etwas gezwungen, als er ihre wechselnde Miene bemerkte.
    Plötzlich flog die Tür krachend auf, und einen Moment schien es, als zeichne sich eine seltsame Gestalt aus der Unterwelt gegen den wirbelnden Schnee ab, der nun hereintrieb. Ein eisiger Hauch drohte die Laternen auszublasen, die den Hauptraum des Gasthauses erhellten. Die Gestalt, die wie ein riesiger zottiger Bär aussah, drehte sich um und mußte sich gegen die Tür stemmen, um sie gegen den Druck des böigen Windes zuzuschieben. Dann wandte sie sich wieder um und schüttelte sich, so daß

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