Verneig dich vor dem Tod
ist es nicht so schlimm.«
Cynric war vor die Tür getreten. Er hob zum Abschied die Hand.
»Ihr seid alle verrückt«, rief er ihnen nach, und das Sausendes Schneesturms verzerrte seine Worte. »Aber wenn ihr unbedingt reisen wollt, so sei Gott mit euch auf allen euren Wegen.«
»Gott sei mit dir, Wirt«, antwortete Eadulf ernst, bevor er neben Fidelma unter die Pelze schlüpfte. Dann hörten sie Mul mit den Leinen klatschen und rufen, und mit einem Ruck setzte sich der Wagen in Bewegung.
KAPITEL 2
Sobald sie vom Hof des Gasthauses herunter und an den ihn umgebenden Bäumen vorbei waren, fuhr der Wind auf sie los und bewarf sie mit Schnee wie mit Eiskügelchen, die hart und trocken waren und Schmerz verursachten, wenn sie das Gesicht trafen. Es war ein bitterkalter Wind, der ihnen entgegenheulte und manchmal wie angstvoll aufkreischte. Eadulf war froh, daß die Pelze auf dem Wagen sie vor der vollen Wucht des eisigen Sturms schützten.
Mit gesenkten Köpfen stapften die wackeren kleinen Maultiere vorwärts und zogen den Wagen durch eine flache Schneewehe. Die großen Holzräder knirschten auf dem gefrorenen Boden, und der Wagen schwankte hin und her, während Mul sich bemühte, ihn in der Spur zu halten, die unter der Schneedecke verborgen lag. Einen Moment schien es, als wolle der Wind nachlassen, aber schon pfiff er aus einer anderen Richtung noch stärker als zuvor, so daß der Wagen ins Schwanken geriet, als wäre er ein lebendiges Wesen. Dann wieder schlitterten die Räder über ein Stück glattes Eis.
Sie hörten Mul fluchen, aber irgendwie brachte er denWagen zum Halten. Er sprang ab, und als Eadulf über die Seitenwand spähte, sah er, wie Mul das Gespann durch eine tiefe Schneewehe führte. Der Bauer blieb neben den Köpfen der Tiere, bis sie in den Schutz eines Waldstücks gelangten, in dem der Weg nur dünn mit Schnee bedeckt war. Der Wind fegte durch die Bäume und hörte sich an wie ein seltsamer, flüsternder Chor seufzender Stimmen.
Mul kletterte wieder auf den Wagen.
»Wie geht’s euch da hinten?«
Seine Stimme wurde vom Fauchen des Windes fast verschluckt, doch Eadulf verstand ihn.
»Gut«, rief er zurück. »Meinst du, daß es Zweck hat, weiterzufahren?« Eadulf war unsicher geworden, während sie sich durch offenes Land bewegten. Der Wald bot wenigstens etwas Schutz vor den Unbilden des Wetters. Aber er wußte, daß das nicht lange anhalten würde.
»Bei Thunors Hammer! Natürlich hat es Zweck. Ich fahre doch, nicht?« Mul lachte schallend über seinen eigenen Humor.
Eadulf gab keine Antwort und wandte sich Fidelma zu. Vor Schnee und Dunkelheit konnte er ihr Gesicht nicht sehen.
»Wie geht es dir?«
»Ich hab schon Schlimmeres erlebt«, meinte sie gelassen.
Sie wollte noch etwas sagen, als der Wagen plötzlich holperte und stehenblieb. Die schweren Räder rutschten und drehten sich auf den vereisten Spuren, ohne zu fassen. Die Tiere mühten sich vergeblich ab, den Wagen fortzubringen.
»Ich muß absteigen und Reisig suchen, das ich unter die Räder legen kann«, rief Mul.
Das wollte er gerade tun, als in der Nähe das düstereGeheul eines Wolfs ertönte. Eadulf spürte, wie Fidelma neben ihm erstarrte. In ihrem Land waren Wölfe zahlreich und gefährlich, und er wußte, daß sie allen Grund hatte, sich vor ihnen zu fürchten. Er selbst übrigens auch. Er beugte sich über den Wagenrand und starrte in die Richtung, aus der der Laut gekommen war. Ein paar grauweiße Schatten huschten durch die Bäume.
Mul fiel die Besorgnis seiner Fahrgäste auf.
»Habt keine Angst. Es ist nur ein vereinzeltes Paar mit seinen Jungen, das sich hier herumtreibt. Rudel gibt es in dieser Gegend nicht, soviel ich weiß. Die Wölfe sind am Aussterben in diesem Land. Sie tun uns nichts.«
Fidelma und Eadulf hatten schon schlechte Erfahrungen mit Wölfen gemacht und waren sich nicht so sicher. Selbst bei dem Schneetreiben konnten sie den Rüden erkennen – ein großes Tier von einem vollen Meter Schulterhöhe. Es stand auf einem Felsen zwischen den Bäumen und starrte sie aus glühenden scharfen Augen an. Fidelma erschauerte, als sie den kraftvollen Bau und das schwere schiefergraue Fell erkannte.
Etwas tiefer als diese majestätische Gestalt erspähten sie die Fähe, die unruhig ihre beiden langbeinigen, fauchenden Welpen bewachte und sie mit gelegentlichem Schnappen ihrer langen weißen Zähne ermahnte.
Der Wolfsrüde warf den Kopf zurück, und ein langes, düsteres, hungriges Geheul schallte
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