Verräterherz (German Edition)
ist erschöpft.“
Eigentlich wollte ich gerade einwenden, dass ich nicht darum gebeten hatte, dass der Tod erneut die Regeln übertrat, doch dazu blieb mir keine Gelegenheit. Ich hatte nicht einmal einen Abstecher in die Zwischenwelt machen dürfen, sondern fand mich beim nächsten Atemzug – ich bitte, dies nicht wörtlich zu nehmen – in der Wohnung von Jules Fordant wieder. Dessen Körper war im Jenseits verblieben und ich konnte nur darüber spekulieren, was der Tod mit dem verkohlten Leichnam tat. Vielleicht ließ er ihn in der Zwischenwelt, packte ihn zu Morlet und machte das Opfer seiner Frau damit zu dessen einzigem Kontakt. Eine Ironie des Schicksals würde ich meinen, wenn ich nicht wüsste, dass der Tod wenig mit dem Schicksal gemein hatte, sondern ganz bewusst und sogar erstaunlich emotional Pläne schmiedete und durchführte. Ich bin mir sicher, dieser Gedanke würde so manchem Menschen Angst und auch Kummer bereiten. All die Fragen, die ihr euch stellen müsstet, wenn ihr wüsstet, dass der Tod nicht unwillkürlich zuschlägt, sondern dass er Mittel und Wege kennt, um Verstorbene zurückzuschicken. Ihr werdet euch fragen, warum tat er es nicht bei denen, die ihr liebtet? Warum tat er es stattdessen bei einem Menschen jagenden Monster wie mir? Warum ließ er mich blutrünstigen Vampir gleich dreimal auf die Menschenwelt los, obwohl er ihn genauso gut ins Jenseits hätte befördern können?
Die Wahrheit ist, ich kann es dir nicht sagen. Vielleicht hatte er in der Zwischenzeit ebenso ein Faible für mich entwickelt, wie er es für Sophie hatte, in deren Gestalt er mir begegnet. Wir sind zugegebenermaßen schon ein merkwürdiges Gespann, dieser mädchenhafte Tod und ich. Aber es scheint mir, als hatten wir tatsächlich von Anfang an das gleiche Ziel. Wir wollen Gerechtigkeit, so lachhaft das für dich aus dem Mund eines Serienmörders wie mir auch klingen mag. Aber es gibt Werte, nicht wahr? Werte, die du auch mir zugestehen solltest - und selbst der Tod kennt solche Werte. Ich denke, es ist eine gute Nachricht, dies zu hören. Es nimmt etwas den Schrecken vor ihm, nicht wahr?
~12~
Lange Zeit saß ich also einfach so dort, in der Wohnung von Fordant und grübelte darüber nach, was nun zu tun sei. Immer mehr wurde ich mir schmerzlich darüber bewusst, dass meine freundschaftliche Verbindung zu Mademoiselle la mort nun der Vergangenheit angehörte. Bei unserem nächsten Aufeinandertreffen könnte es gut sein, dass ich sie nicht einmal bemerken würde. Woher sollte ich schon wissen, wie es ist, wenn sie einen tatsächlich mitnimmt, statt alles dafür vorzubereiten, jemanden zurückzuschicken? Und wenn ich es richtig anstellte, würde ich dem Tod ohnehin nie wieder begegnen, denn natürlich hatte er recht damit, dass ich viel zu oft bei ihm auftauchte, obwohl ich eigentlich unsterblich bin.
Ich saß am Küchentisch und stützte meinen Kopf in die Hände. Stunde um Stunde. Schließlich begann ich hungrig zu werden. Aber ich marterte mich noch ein wenig. Teils, um mich selbst zu bestrafen, teils, weil ich einfach Angst hatte, die Wohnung zu verlassen und meinen Häschern in die Hände zu fallen. Die Beweise, dass Morlet zum Zeitpunkt meines Mordes an ihm kein Hüter mehr gewesen war, waren verbrannt. Natürlich hätte ich selbst mit diesen Beweisen immer noch einen aristokratischen Vampir getötet, jedoch war es gut denkbar, dass meine Schuld unter diesen Umständen vergeben worden wäre. Doch nun hatte ich nichts in der Hand und keinen Grund, um auf Vergebung zu hoffen.
Immer wieder hallten mir die bösartigen Worte von Madame Morlet durch den Kopf. Irgendwann wurden mein Hunger und diese eiskalte Stimme meiner Mörderin so schlimm, dass ich mir den Wohnungsschlüssel schnappte und auf den Flur hinaus flüchtete. Die Tür warf ich ins Schloss und hetzte die Treppen hinab. Unten im Hausflur stand ein Mann in grauem Kittel. Er blickte mich unfreundlich an und knurrte: „Sind Sie ein Freund von Monsieur Fordant?“ Ich nickte, weil mir klar war, dass er irgendwie erraten hatte, dass ich aus dessen Wohnung kam.
„ Aber Sie wohnen nicht bei ihm, oder? Falls doch, muss ich das dem Hausbesitzer melden, denn soweit ich weiß, wohnt Monsieur Fordant offiziell alleine.“
Ich wiegelte ab. „Nein, nein, ich passe nur auf seine Wohnung auf, solange er im Urlaub ist.“
Mein Gegenüber nickte, schien aber nicht wirklich zufrieden. Mit genervter Stimme fragte er: „Wann machen Sie denn mal den Briefkasten
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