Verräterherz (German Edition)
sagte das Mädchen. Ich sah es an, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen.
„ Vergiss es“, sagte es in tadelndem Tonfall, „was du siehst, bestimme ich. Du besitzt keine Augen mehr. Das Feuer hat sie dir genommen. Eigentlich hat das Feuer dir alles genommen, um ehrlich zu sein. Für einen Moment hatte ich schon geglaubt, du sehnst dich erneut so sehr nach mir – suchst Antworten und willst mich nötigen, dir zu helfen – aber dann erkannte ich deinen Zustand, und nicht einmal dir traue ich zu, so etwas zu inszenieren, um an dein Ziel zu kommen. Nein, du bist hingerichtet worden, von den deinigen, nicht wahr?“
Ich wollte antworten, aber es war mir unmöglich. Stattdessen begann ich zu weinen und konnte kaum noch damit aufhören. Der Tod schwieg und schien verärgert über meine Reaktion, er zog jedoch die Hand nicht weg, die mich nach und nach wieder ruhiger machte.
Endlich schaffte ich es, meine Geschichte zu erzählen. Ich berichtete von meinem Fund, von Madame Morlets Hinterlist, von der Vernichtung des Beweismaterials und von meiner eigenen Vernichtung, die dem Kampf um Gerechtigkeit ein Ende bereitet hatte. Der Tod hörte zu, aus den roten Zöpfen tropfte Blut. Es lief über das Kleid des Mädchens und versickerte irgendwo in dem Stoff in Höhe der kindlich flachen Brust.
„ Du hast Hunger. Darum siehst du, was du willst“, sagte der Tod erklärend. Ich schluckte hart, dann erwiderte ich: „Sagtest du nicht, ich sehe, was du willst?“
Der Tod lachte sein helles Mädchenlachen.
„ Wir kennen uns inzwischen zu gut. Ja, du hast recht, ich möchte, dass du Appetit entwickelst. Wie sonst soll ich dich in dein Vampirdasein zurückholen, wenn nicht über das Blut?“
Ich schüttelte den Kopf.
„ Ich mag nicht mehr“, gab ich leise zurück, dann sagte ich in fast flehenden Ton: „Bring mich dahin, wo ich hingehöre. Ich füge mich meinem Schicksal, denn schon mehr als einmal habe ich es betrogen. Und mit welchem Ergebnis? Nur um nach all den Jahren unter Vampiren immer noch zu hören, dass ich ein Nichts bin ... Dass ich Dreck bin. Dass ich nicht mehr bin, als ein stinkender und verfaulender Mensch, der sich gegen seinen Tod zur Wehr gesetzt hatte. Vielleicht wird es Zeit, dass ich endlich die Regeln akzeptiere. Morlet hatte wenig von mir übrig gelassen, aber was seine Frau getan hat, stellt alles in den Schatten. Sie hat mich vollkommen vernichtet.“
Ein Moment verging in Schweigen und ich stellte mir vor, dass der Tod gerade überlegte, wie er mich am besten an den Ort schaffte, an dem ich die Ewigkeit verbringen sollte. Aber das war nur meine Vorstellung, worüber er wohl nachdachte, und sie war wie immer falsch.
„ Du bist ganz schön theatralisch heute. Gut, diesen Körper werden wir nicht retten können. Aber dir bleibt immer noch Lucien Chevrier. Irgendwie werde ich das schon hinbekommen. Du wirst vorerst in deinen alten menschlichen Körper zurückkehren.“
Ich wollte widersprechen. Es wäre viel zu auffällig und ohne Zweifel würde es nicht lange dauern, bis man mich erneut jagen würde. Und was zum Teufel dachte diese Göre von Tod sich eigentlich dabei, mich schon wieder zu bevormunden? Doch ehe ich mich aufregen konnte, hielt sie mir ihr Handgelenk hin. Es war bereits geöffnet und Mademoiselle la mort sagte versöhnlich: „Du bist nicht in der besten Verfassung. Trink ohne Eile, die Sterbenden können warten.“
Ich wusste nicht, warum sie das tat – warum der Tod sich meiner erneut annahm, ohne mich zu vereinnahmen. Aber ich trank. Und während ich das tat, sprach das Mädchen mit ernster Stimme zu mir.
„ Du wirst mit dem Körper von Lucien Chevrier zurückkehren. Sei also darauf gefasst, dich vorerst verstecken zu müssen. Sorge dafür, dass niemand dich sieht. Ausgenommen dein nächstes Opfer natürlich, dessen Körper du übernehmen wirst. Sei nicht allzu wählerisch, denn ein hübsches Aussehen wird dich nicht davor bewahren, ins Jenseits befördert zu werden.“
Ich konnte leichten Spott in ihrer Stimme hören, aber es war eher eine Art freundschaftliche Frotzelei, statt bösartigen Tadels. Die Stimme blieb so freundlich, doch die nächsten Worte ließen keinen Zweifel daran, dass Mademoiselle la mort es todernst meinte ... amüsantes Wortspiel, nicht wahr? Nun, wie dem auch sei, sie ließ mich Folgendes wissen:
„ Dies ist das letzte Mal, dass ich dich zurückgehen lassen kann. Deine letzte Chance. Auch ich bin an gewisse Regeln gebunden und mein Spielraum
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