Verräterisches Profil
den Konrads und Jan statt, welches vielversprechend ablief. Die Jugendamtsmitarbeiterin entschied letztlich, ihn der Familie anzuvertrauen, da sie sich von der kleinen Julia einen heilenden Effekt für Jan erhoffte. Sie spekulierte darauf, dass er sich als Beschützer des Mädchens fühlen und so seine nach wie vor vorhandene Aggressivität in den Griff bekommen würde.
In den folgenden Jahren führten sie bei regelmäßigen Besuchen Gespräche miteinander und alles schien einen guten Verlauf zu nehmen.
»Als ich dann diesen Anruf bekam«, fuhr sie fort, »war ich geschockt. Ich kannte die Konrads und konnte es nicht glauben. Ebenso wenig traute ich Jan eine solch üble Lüge zu. Durch sein Verschwinden nahm er mir die Möglichkeit, den Vorwürfen in allen Einzelheiten nachzugehen. Natürlich untersuchten wir die Angelegenheit, ohne Anzeichen zu finden, dass Jan tatsächlich missbraucht worden war. Wir haben ihn der Polizei als Ausreißer gemeldet, aber er war schon siebzehn, keine sechs Monate später wurde er volljährig. Sie können sich vermutlich vorstellen, wie intensiv nach ihm gesucht wurde. Und mit seinem achtzehnten Geburtstag hatte sich das ja sowieso erledigt.«
Elisabeth Rosenkreuz trank einen Schluck des inzwischen erkalteten Kaffees. »Als ich vorhin auf Jans aggressive Anfälle zu sprechen gekommen bin, habe ich Sie beobachtet, Frau Bauer. Ihre Überlegungen waren Ihnen im Gesicht abzulesen. Vergessen Sie’s. Jan wäre zu keinem Mord in der Lage. Schon gar nicht an Julia. Das Mädchen hat er wie eine Schwester geliebt.«
Die Kommissarin lächelte. »Sie sind eine gute Beobachterin. Allerdings müssen Sie meine Bedenken verstehen. Sie wissen nicht, wie sich Jan Uhlich entwickelt hat. Könnte es nicht sein, dass er das Ehepaar aus Hass getötet hat und Julia nur deshalb, damit ihr ein Schicksal wie sein eigenes erspart bleibt?«
Elisabeth Rosenkreuz führte ein letztes Mal die Tasse mit dem Bochumer Stadtwappen an ihre Lippen. Genau dieser – nicht völlig abwegige – Gedanke beschäftigte sie seit gestern.
***
Katrin Golisch hatte bis zum frühen Morgen wach gelegen, bevor sie endlich für eine Stunde eingenickt war. Als sie dann vom ersten lauten Geräusch auf der Etage geweckt worden war, hatte sie für einen Augenblick geglaubt, ein Fremder befände sich in ihrem Appartement. Seitdem war sie ein noch viel größeres Nervenwrack als in der Nacht zuvor. Aufgrund pochender Kopfschmerzen war ein Besuch der heutigen Vorlesungen unmöglich.
Während sie unruhig in der Wohnung hin- und herlief, dachte sie über eine Lösung für ihre vertrackte Situation nach.
Es war ausgeschlossen, der Polizei den Vorfall zu melden. Man würde von ihr erwarten, als Lockvogel aufzutreten. Sie würde strippen müssen und die Polizisten hätten kostenlos Spaß mit ihrem Anblick.
Doch es gab eine andere Möglichkeit. Von dem notwendig gewordenen Autokauf abgesehen, hatte sie in den vergangenen Monaten nicht viele Ausgaben gehabt und sparsam gelebt. Daher konnte sie sich durchaus leisten, ein Quartal auf weitere Einnahmen zu verzichten. Bei ihrem Auftraggeber könnte sie sich mit anstehenden Prüfungen entschuldigen und jederzeit wieder einsteigen. Je länger sie darüber nachdachte, desto verlockender erschien ihr die Vorstellung einer Auszeit, die sie erst beenden würde, wenn der Mörder gefasst war.
Überzeugt davon, dass dieser perverse Mensch keine Rolle mehr in ihrem Leben spielen würde, schickte sie dem Erotikunternehmen eine Nachricht, in der sie um eine vorübergehende Pause bat.
5
Zusammen mit Tobias Linden war Frank Schaumberg dafür verantwortlich, den Bericht über die finanziellen Verhältnisse der ermordeten Familie anzufertigen. Seit Stunden beschäftigte er sich daher damit, Versicherungs- und Bankunterlagen zu studieren. Derzeit war er in die Kontoauszüge vertieft und von den vielen Zahlen schwirrte ihm bereits der Kopf.
Der Polizist blickte auf die Uhr. Es war zehn vor zwei. Bald wäre es Zeit für eine Mittagspause, aber zuvor wollte er noch die Belege des letzten Halbjahres überprüfen.
Fast immer handelte es sich um die gleichen Kontobewegungen: Hypothekenzahlungen, Versicherungsprämien, ein Zeitungsabo, sonstige monatliche Abbuchungen. Dann entdeckte Schaumberg eine Überweisung an einen Schlüsseldienst in Höhe von zweihundert Euro. Er erinnerte sich daran, wie sein Kollege Christopher bei der Besprechung den Verlust des Schlüsseletuis erwähnt hatte.
Im Internet ermittelte er
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