Verräterisches Profil
verlegen. »Spreiz deine Beine. Sag ›Papi‹ zu mir. Steck dir einen Finger in die –« Er verzichtete darauf, den Satz zu beenden. »Solche Sachen halt.«
»Ist das ein gesetzlich zulässiges Angebot? Die Frauen sehen minderjährig aus.«
»Nein«, widersprach Meier. »Die sind garantiert volljährig. Die Seite wirkt völlig legal.«
»War das jetzt ihr privater oder beruflicher Wissensstand?«
»Rein dienstlich, erworben auf Kosten der Steuerzahler.«
»Wie beruhigend. Lässt sich herausfinden, ob Wilhelm Konrads zum Zeitpunkt seiner Ermordung eingeloggt war?«
»Das dürfte anhand der IP-Adresse und mit ein wenig Druck auf den Anbieter kein Problem sein. Je nach dessen Bereitschaft, uns bei den Ermittlungen zu unterstützen, dauert das einen Tag oder bis zu einer Woche. Vielleicht bekommen wir sogar heraus, mit wem Konrads gechattet hat und ob der Dame etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist.«
»Ich will die Antwort schnellstmöglich.«
»Was für eine Überraschung!«
***
Nachdem der letzte Polizeibeamte das Haus verlassen hatte, schloss Beate hinter ihm die Tür, um ungestört zu sein. In den nächsten Minuten wollte sie ihre bisherigen Erkenntnisse in strukturierte Bahnen lenken, wobei sie am liebsten allein war.
Die Haustür war ohne Gewaltanwendung geöffnet worden; entweder von einer Person, der dafür das richtige Werkzeug zur Verfügung stand, oder von einem Eindringling, der einen Schlüssel besaß. Eine dritte Möglichkeit bestand darin, dass dem Mörder die Tür freiwillig aufgemacht worden war.
Es gab fünf Hinweise auf den Tathergang: das aufgeschlagene Fotoalbum, der im Arbeitszimmer erschossene Ehemann, die aufgerufene Internetseite, die gefesselte Ehefrau, deren Mund verklebt gewesen war, und die erstickte Tochter.
Beate ging davon aus, dass niemand aus der Familie das Album betrachtet hatte. Das Wohnzimmer war ansonsten völlig aufgeräumt und bestimmt hätte ein Familienmitglied das Buch nach dem Anschauen in eines der Sideboards zurückgelegt.
Hatte also der Täter darin geblättert? Eventuell, um seine Opfer dadurch kennenzulernen? Oder wollte er mit dieser Aktion eine Botschaft übermitteln?
Bedeutender war die Feststellung, in welcher Reihenfolge er getötet hatte. Sie vermutete, dass Wilhelm Konrads zuerst gestorben war. Der Ehemann hätte bei Gegenwehr ein Risiko für den Killer darstellen können, daher wäre es folgerichtig gewesen, mit seiner Ermordung zu beginnen. Hatte der Unbekannte von Konrads Onlinestripklubbesuch gewusst, oder handelte es sich bei dessen nächtlicher PC-Benutzung um eine unerwartete Komplikation, weil der Mörder darauf spekuliert hatte, ihn schlafend vorzufinden? Eine Beantwortung dieser Frage würde sich auf einen potenziellen Verdächtigenkreis auswirken.
Beate betrat die Diele. Sie musterte kurz ihr erschöpft wirkendes Spiegelbild. Sie sah älter aus als vierunddreißig und hatte ihr Idealgewicht seit der Entbindung ihrer Tochter noch nicht wieder erreicht. Ihre schulterlangen, rötlich-blonden Haare machten einen strapazierten Eindruck, da sie sich für deren Pflege momentan nur selten die Zeit nahm. Ihre von Natur aus helle Haut, die mit Sommersprossen gesprenkelt war, ließ sie in diesem Spiegel kränklich erscheinen, so als habe sie gerade erst eine Grippe überstanden. Beate zog ihre ohnehin hoch geschwungenen Augenbrauen noch ein Stück in die Höhe und schwor sich, demnächst wieder mehr auf ihr Äußeres zu achten. Danach ging sie ins Wohnzimmer, um ein weiteres Mal auf der bequemen Couch Platz zu nehmen.
Während dem Mann und dem Mädchen wahrscheinlich die Gnade zuteilgeworden war, schnell zu sterben, deutete der Zustand der Frauenleiche auf ein qualvolles Ableben hin. War Angelika Konrads deswegen der Schlüssel zur Aufklärung des Falls? Oder hatte sich der Täter durch ihre Misshandlung seine Fantasien erfüllt, nachdem die störenden Elemente ausgeschaltet waren?
Frustriert spürte Beate, wie sich ihr Nacken verspannte. Daher legte sie ihr Kinn auf die Brust und rollte den Kopf mehrmals vorsichtig von links nach rechts.
Jede neue Mordermittlung warf eine Vielzahl von Fragen auf, deren Beantwortung den Schuldigen überführte. Aber dafür war es notwendig, tief in das Leben der getöteten Menschen einzudringen. Manchmal kamen dabei Dinge ans Licht, die besser im Dunkeln geblieben wären. Beispielsweise konnte Beate nicht ausschließen, dass eine Affäre der Ehefrau zu der Tat geführt hatte. Oder dass sich der Ehemann wegen
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