Verräterisches Profil
Ausbildung beendet, war jünger als die restlichen Anwesenden und bisher noch nicht an einer Mordermittlung beteiligt gewesen. Dementsprechend engagiert wirkte sie.
»Entschuldigen Sie meine Verspätung, Frau Hauptkommissarin. Ich musste einer Spur nachgehen und glaube, etwas Wichtiges gefunden zu haben.«
»Falls es wirklich wichtig ist, verzeihe ich die Unpünktlichkeit. Nach Ihrer Ankündigung erwarte ich allerdings mindestens den Namen des Mörders.«
Unter dem Schmunzeln der Kollegen setzte sich die Polizistin Angela Sasse. »Vielleicht kann ich Ihnen zumindest einen Verdächtigen präsentieren. Nur für alle zur Information: Mir ist die Aufgabe zugeteilt worden, mich um das familiäre und nachbarschaftliche Umfeld der Familie Konrads zu kümmern. Dabei bin ich in den Fotoalben auf eine interessante Sache gestoßen.« Sasse entnahm der Mappe einige Bilder, die sie der Kommissarin gab. Die Familie Konrads umfasste darauf eine weitere Person: einen etwa fünfzehnjährigen Jungen. Beate fielen dessen feminine Gesichtszüge auf, die von schulterlangen, braunen Haaren betont wurden.
Das Foto, auf dem der Jugendliche erstmals in Erscheinung trat, war aufgenommen worden, als Julia ungefähr zwei Jahre alt war; die letzte Aufnahme von ihm war an dem fünften Geburtstag des Mädchens entstanden.
Beate registrierte aber noch etwas: Der Junge wahrte Distanz. Selbst dann, wenn er von Wilhelm oder Angelika Konrads in den Arm genommen wurde, drückte seine Mimik und seine Körperhaltung Reserviertheit aus. Nur in Julias Nähe schien das anders zu sein.
Beate reichte die Fotos an Robert weiter, und nachdem jeder der Anwesenden einen Blick darauf geworfen hatte, lüftete Angela Sasse die Identität der Person.
»Da die meisten Nachbarn seit Langem in der Straße wohnen, war schnell geklärt, um wen es sich handelt. Er heißt Jan Uhlich und war für zweieinhalb Jahre das Pflegekind der Ermordeten, bis er plötzlich von heute auf morgen verschwunden ist. Keiner der Anwohner kannte den Grund dafür. Im Gegenteil, alle waren damals überrascht, denn sie meinten, er hätte bei den Konrads ein schönes Leben gehabt. Sie hätten ihn aufgenommen wie einen eigenen Sohn.«
Beate dachte an die angespannte Körperhaltung des jungen Mannes. Passte diese zu den Aussagen der Nachbarn?
»Ich habe mich mit dieser Antwort nicht zufriedengegeben«, fuhr Sasse fort, »und beim Jugendamt nachgeforscht. Dort habe ich von einer Frau Rosenkreuz, die für den Fall Uhlich zuständig war, etwas höchst Interessantes erfahren. Am Tag, als Jan verschwand, hat er die Beamtin telefonisch kontaktiert. Um ihr mitzuteilen, dass er abhauen würde, weil er von Wilhelm Konrads sexuell missbraucht worden sei und weil das Jugendamt offensichtlich nicht in der Lage sei, ihn in einer vernünftigen Familie unterzubringen. Ehe Frau Rosenkreuz mehr Informationen aus ihm herausbekommen konnte, hatte er aufgelegt.«
»Hat das Amt bei den Konrads diesbezüglich nachgefragt?«
»Natürlich«, antwortete die Polizistin. »Aber keines der mit den Pflegeeltern geführten Gespräche brachte Anzeichen dafür, dass Uhlichs Anschuldigungen der Wahrheit entsprachen. Ich habe mir übrigens erlaubt, für Sie einen Termin bei der Jugendpflegerin zu vereinbaren, falls Sie sich selbst mit ihr unterhalten wollen. Morgen früh um elf erwartet Frau Rosenkreuz Sie in ihrem Büro.«
Beate lächelte anerkennend. »Das haben Sie gut arrangiert. Vielen Dank.« Damit gab es bereits zwei vielversprechende Spuren. Zum ersten Mal in den vergangenen Stunden war sie guter Hoffnung, den Mordfall schnell aufzuklären. »Was ist mit den anderen? Peter, was hat dein Team herausgefunden?«
Mit diesen Worten wandte sie sich an den Chef der Spurensicherung, Peter Schnittler.
»Ich möchte dir deine spürbar glänzende Laune nicht vermiesen«, erwiderte dieser schwerfällig schnaubend, »doch bislang haben wir abgesehen von den Spuren auf der Frauenleiche keine weiteren Hinterlassenschaften des Täters gefunden.«
Bei dem stark übergewichtigen Mann hatte sie immer das Gefühl, er würde in der folgenden Sekunde mit Atemnot zusammenbrechen.
»Wir haben selbstverständlich längst nicht alles, was wir eingesammelt haben, eindeutig zugeordnet – ihr wisst, dass dies nahezu unmöglich ist –, nach Auswertung der Fingerabdrücke und Fasern bin ich jedoch überzeugt, dass wir nichts finden werden, was weder der Familie noch einem regelmäßigen Besucher zugeordnet werden kann. Ich hoffe, meinen
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