Verräterisches Profil
oder wir werden alle draufgehen. Das werde ich Meike verdeutlichen.
Mir sitzt im Bus eine Frau gegenüber, die mir flüchtig bekannt vorkommt. Woher kenne ich sie bloß?
Als sie aufsteht und den Halteknopf drückt, kann ich sie wieder einordnen. Sie heißt Julia, nein, Judith, und ich habe mich mal für sie interessiert. Das ist Jahre her. Wir gingen auf zwei unterschiedliche Gymnasien, die in der Oberstufe gemeinsame Kurse ausrichteten, und belegten beide den Leistungskurs im Fach Spanisch. Ich saß seitlich von ihr, verbrachte die langweiligen Passagen des Unterrichts damit, ihr Gesicht zu betrachten. In meiner Fantasie waren wir ein Paar und kannten keine Tabus.
Die Abschlussfahrt in der letzten Jahrgangsstufe ging nach Barcelona. Das sah ich als meine Gelegenheit an. Am zweiten Abend versuchte ich, mit ihr zu flirten. Eiskalt ließ sie mich abblitzen. Den Rest der einwöchigen Exkursion tuschelte sie mit ihrer Freundin, sobald ich in ihrer Nähe war. Ständig hörte ich sie kichern.
Sie steigt aus, und obwohl es für mich zwei Stationen zu früh ist, folge ich ihr. Bevor ich Meike einbläue, dass sie Eileen auf keinen Fall mitnehmen wird, kläre ich diesen Punkt aus meiner Vergangenheit.
Was gab es über mich zu lachen?
Von der Haltestelle Markstraße aus wendet sie sich nach links. Bestimmt studiert sie und wohnt in einem der umliegenden Wohnheime.
Ich gehe keine fünf Schritte hinter ihr her, doch sie registriert mich gar nicht.
Wie damals.
Du arrogantes Miststück!
Wir kommen an einer Kneipe vorbei, passieren den daneben liegenden Discounter. Ehe ich sie ansprechen kann, biegt sie in einen kleinen Seitenweg ein, der von Bäumen gesäumt wird. Eine schwache Straßenlaterne spendet nur am Ende des Weges ein wenig Licht.
»Hey«, rufe ich ihr hinterher.
Sie dreht sich selbstsicher um. »Was?«, fragt sie genervt. Da ist es wieder, dieses arrogante Getue. Warum hält sie sich für etwas Besseres?
Wütend stürze ich mich auf sie. Wir fallen zu Boden. Im nächsten Augenblick liege ich auf ihr und ziehe ihr die Jacke über den Kopf, damit sie mich nicht erkennt. Außerdem dämpft der Jeansstoff ihre Schreie. Verzweifelt wehrt sie sich. Ich boxe ihr brutal in die Rippen und lege meine Hände um ihren Hals, drücke zu. Ihre Gegenwehr erlahmt. Ich reiße ihr die Schuhe von den Füßen, entkleide sie unten herum. Dann öffne ich meine Hose, will mir das nehmen, was ich von Meike in den letzten Monaten nicht bekommen habe.
Plötzlich höre ich auf der Straße Stimmen. Sie holen mich in die Realität zurück. Jede Sekunde könnte ich erwischt werden.
Ich springe auf, knöpfe meine Hose zu. Die Passanten entfernen sich.
Sie bewegt sich nicht mehr. Schlagartig bin ich nüchtern. Ich rüttle an ihrer Schulter, ohne dass sie reagiert.
Als ein Regenschauer einsetzt, schleife ich ihren leblosen Körper in die angrenzenden Büsche, ehe ich ihn mit ihrer Kleidung notdürftig bedecke.
Völlig durchnässt betrete ich die Wohnung, entledige mich im Bad meiner Klamotten. Keinen Gedanken verschwende ich mehr daran, Meike wegen Eileen Grenzen aufzuzeigen. Stattdessen beherrscht eine einzige Gewissheit mein Denken: Bald wird mich die Polizei festnehmen und von meiner Familie trennen.
Bevor ich ins Bett gehe, schaue ich mir minutenlang meine schlafende Tochter an.
Zum letzten Mal?
Bei ihrem engelsgleichen Anblick weine ich leise.
Schließlich schlüpfe ich unter die Bettdecke und suche Meikes Nähe. Instinktiv rutscht sie von mir weg.
Ich bin allein.
30
Beate versuchte, die Teile des Puzzles zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Der ungelöste Mordfall brachte sie dabei jedoch nicht weiter. Starker nächtlicher Regen hatte damals alle möglicherweise vorhandenen Spuren weggespült. Der Name ihres Verdächtigen wurde nirgendwo in der Akte erwähnt.
Zur Mittagszeit bekam sie von einem Telekommunikationsunternehmen eine kurze Liste zugefaxt, die Hills Telefongespräche der vergangenen drei Monate enthielt. Walthers Nummer tauchte darin nicht auf.
»Wir haben einiges, aber nicht genug«, fasste sie abschließend zusammen. Auf einem Flipchart hatte sie die Indizien vermerkt, die auf Hills Schuld hindeuteten. »Damit finden wir keinen Richter, der U-Haft anordnet.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Robert. »Morgen, spätestens übermorgen werden wir den Polizeipräsidenten über die Sperma-Übereinstimmung informieren müssen. So sehnsüchtig, wie dieser auf ein positives Ermittlungsergebnis wartet, wird er
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