Verräterisches Profil
sie jetzt nichts tun. Sosehr die Trauer sie zu übermannen drohte, sie durfte sich ihr nicht hingeben. Nicht aufgeben. Noch lebte sie. Und – viel wichtiger – ihre Tochter Ana vermutlich auch. Sofern Hill seine Vorgehensweise nicht geändert hatte. Für Ana und für sie gab es Hoffnung.
Mit geschlossenen Augen versuchte sie, ihre Lage zu analysieren. Sie lag auf dem Rücken. Ihre Hände waren hinter dem Kopf mit einem Klebeband gefesselt, ihre Oberarme damit auf der Matratze festgeklebt. Ein solches Klebeband war allerdings nicht dafür gedacht, lange auf dem Stoff eines Bettlakens zu haften. Wenn sie kräftig genug zog, könnte sie diese Fesseln lösen. Und hätte eine kleine Chance. Vielleicht.
Sie war nackt – was keine große Überraschung war. Schließlich hatte er die anderen Frauen vergewaltigt. Warum sollte er bei ihr eine Ausnahme machen?
Ihren Mund hatte er nicht zugeklebt. Aus welchem Grund wich er von seiner bisherigen Routine ab? Ihr fielen verschiedene ein. Statt sich damit zu beschäftigen, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Beine. Das linke hing aus dem Bett und war stabil mit dem Bettrahmen verbunden. Das andere lag auf der Matratze und war auch mit Klebeband auf dem Betttuch fixiert. Es bestand die gleiche Chance wie bei den Armen. Zumal er Schwierigkeiten haben würde, sie in dieser Position zu missbrauchen. Wenn er über sie herfiel, solange sie kampffähig war, könnte sie eventuell nach ihm treten.
Doch wo war er?
Sie konzentrierte sich und vernahm tatsächlich in ihrer Nähe seinen Atem. Er stand links von ihr, neben dem Bett. Bestimmt geilte er sich an ihrer Wehrlosigkeit auf. Wahrscheinlich konnte er es nicht mehr erwarten.
Ohne seinen genauen Standort zu kennen, konnte sie ihn jedoch nicht außer Gefecht setzen.
Also sollte er seinen Spaß bekommen.
Beate drehte den Kopf, öffnete die Augen. Die Deckenlampe war eingeschaltet. Sie entdeckte ihn – aber zu weit weg stehend.
Ein lüsternes Grinsen verzerrte seine Züge. »Endlich«, flüsterte er erregt. »Fast hätte ich schon angefangen, ohne auf dich zu warten.«
Komm näher, dachte sie. Sie wollte ihn mit einem Tritt ihres rechten Beins treffen, vorausgesetzt, sie bekam es los.
Statt ihr den Gefallen zu tun, trat er einen Schritt zurück. Als lese er ihre Gedanken.
»Du hast die Morde untersucht«, murmelte er. »Du weißt, was ich mit deinem Mann gemacht habe.«
Er versuchte, ihren Überlebenswillen zu brechen.
Hill ging ums Bett herum. Sie beobachtete ihn nur noch aus dem Augenwinkel, ohne den Kopf zu wenden.
»Willst du mich gar nicht anschauen?«, fragte er mit gespielter Enttäuschung.
Offenbar wollte er, dass sie ihren Ehemann sah.
»Darauf kann ich verzichten. Du bist mir zu hässlich.«
Der Mörder lachte. »So was. Ich bin dir zu hässlich? Der letzte Mann, den du in dir spüren wirst, ist dir nicht hübsch genug. Was für ein Jammer. Wenn du mich nicht anschaust, kannst du dich auch nicht vergewissern, ob dein Mann sein Ehegelübde eingehalten hat. Bis dass der Tod euch scheidet. Er wird dich nie wieder ficken. So wie vorhin. Ich habe euch gehört. Eine pornoreife Vorstellung.«
Tatsächlich war Beate in Versuchung, sich Gewissheit zu verschaffen. Doch diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht.
»Hoffst du auf ein Happy End? Vergiss es.« Sie spürte einen Luftzug am Gesicht. Hill tauchte erneut in ihrem Sichtfeld auf. Er hielt ein zusammengeknülltes Tuch in der Hand.
»Ich zeige dir etwas.«
Genüsslich faltete er das Geschirrtuch auseinander. Beate sah das Einschussloch und die Blutflecken. Es gab keine Hoffnung mehr für Sebastian. Beinahe wurde die Trauer übermächtig. Aber sie musste kämpfen. Für sich, für ihre Tochter und für ihren Mann. Um zumindest seinen Tod zu rächen.
»Ein sauberer Schuss in die Stirn. Schmerzlos. Wenn du mich bittest, werde ich dir den gleichen Gefallen tun. Los! Fleh mich an!«
Sie war überzeugt, dass Hill sie mit falschen Versprechungen ködern wollte. Er würde niemals Wort halten. Zu sehr genoss er die sexuelle Demütigung seiner weiblichen Opfer. Daher versuchte sie, sich an seine Schwachstelle zu erinnern.
»In hundert Jahren nicht«, knurrte sie. »Deine Tochter wirst du übrigens nie wieder sehen. Dafür habe ich gesorgt. Das hattest du geplant, oder? Deine Ex-Frau töten und das Sorgerecht erhalten. Ich hab’s dir gehörig vermasselt.«
Sie spannte ihren Körper an, denn sie rechnete damit, ihn so weit provoziert zu haben, dass er sich auf sie stürzen
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