Verrat in Paris
verhindert, dass wir die Wahrheit erfahren. Falls du dich erinnerst.«
Natürlich erinnerte er sich. Er hatte sich damals über die Weisung aus Washington gewundert: »Untersuchung beenden.« Eine ähnliche Order hatte auch Claude von seinem Chef beim französischen Geheimdienst erhalten. Und so war die Suche nach Delphi und dem Leck bei der NATO unvermittelt eingestellt worden. Ohne Erklärung, ohne Begründung. Richard hatte natürlich seine Vermutungen. Man hatte Washington offensichtlich über die Wahrheit informiert, und dort hatte man Angst vor den Konsequenzen.
Als einen Monat später der amerikanische Botschafter Stephen Sutherland von einer Pariser Brücke in den Tod sprang, fühlte Richard seine Vermutungen bestätigt. Sutherland war ein politischer Gesandter; hätte man ihn als Spion entlarvt, wäre das eine Schande für den Präsidenten persönlich gewesen.
Und so wurde die Sache mit dem Maulwurf nie offiziell aufgeklärt.
Stattdessen wurde Bernard Tavistock nach seinem Tod als Delphi geoutet. Wie gut muss es manchen Leuten in den Kram gepasst haben, ihn als den Schuldigen zu präsentieren, dachte Richard. Warum sollte man nicht alles auf einen Toten schieben? Der konnte sich ja nicht mehr gegen die Anschuldigungen wehren.
Und jetzt, zwanzig Jahre später, jagt mich dieses Delphi-Gespenst wieder.
Mit neuer Entschlossenheit erhob sich Richard aus dem Stuhl. »Dieses Mal, Claude, finde ich ihn. Und keine Anweisung aus Washington wird mich aufhalten.«
»Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Beweise können verschwunden sein. Und die Politik hat sich geändert.«
»Aber eines hat sich nicht geändert – der Schuldige. Was, wenn wir schief gelegen haben? Wenn Sutherland nicht der Maulwurf war? Dann lebt Delphi vielleicht noch und macht immer weiter.«
Und Daumier fügte hinzu: »Und ist äußerst besorgt.«
Beryl erwachte am nächsten Morgen davon, dass Richard an ihre Tür klopfte. Sie blinzelte erstaunt, als er ihr eine Papiertüte in die Hand drückte, aus der es köstlich nach frischen Croissants duftete.
»Frühstück«, verkündete er. »Du kannst im Wagen essen. Jordan wartet schon unten auf uns.«
»Warten? Worauf?«
»Dass du fertig wirst. Beeil dich, wir haben um acht Uhr eine Verabredung.«
Verwirrt fuhr sie sich durch die verwuschelten Haare.
»Ich wüsste nicht, dass ich eine Verabredung für heute morgen getroffen habe.«
»Nein, das war ich. Und es ist ein echter Glücksfall, dass es geklappt hat, denn der Mann empfängt nicht mehr oft Besucher. Seine Frau gestattet es nicht.«
»Wessen Frau?« fragte sie aufgeregt.
»Die Ehefrau von Chefinspektor Broussard. Der Kriminalbeamte, der damals mit dem Mordfall deiner Eltern befasst war.« Richard hielt inne. »Du willst ihn doch sprechen, Beryl, oder?«
Das weiß er doch, dachte sie und raffte ihren seidenen Morgenmantel zusammen. Er hat mich überrumpelt. Ich bin kaum wach, und er steht hier und drängt mich zur Eile. Und seit wann war Jordan ein Frühaufsteher? Ihr Bruder schaffte es sonst doch nie vor acht Uhr aus dem Bett.
»Du musst nicht mitkommen«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Jordan und ich können …«
»Gib mir zehn Minuten!« rief sie und schloss die Tür hinter ihm.
Nach exakt neun Minuten war sie unten.
Richard fuhr mit der Routine eines Mannes, der sich in Paris auskannte. Sie überquerten die Seine und fuhren auf überfüllten Boulevards in Richtung Süden. Der Verkehr ist so schlimm wie in London, dachte Beryl, als sie das Gewimmel von Bussen und Taxis sah.
Zum Glück fährt er.
Sie hatte ihr Croissant gegessen und fegte die Krümel von dem Aktenordner, den sie auf dem Schoß hatte. In dem Ordner befand sich der zwanzig Jahre alte Polizeibericht, den Inspektor Broussard damals unterschrieben hatte. Sie fragte sich, an wie viele Details sich der Mann noch erinnern würde. Sicher hatten sich nach dieser langen Zeit in seiner Erinnerung sämtliche Mordfälle vermischt. Aber es bestand immerhin eine geringe Chance, dass er sich an die eine oder andere Einzelheit erinnerte, die in dem Bericht nicht auftauchte.
»Kennst du Broussard?« fragte sie Richard.
»Wir haben uns bei der Untersuchung kennen gelernt, als ich von der Polizei vernommen wurde.«
»Du wurdest vernommen? Warum?«
»Er sprach mit allen Bekannten deiner Eltern.«
»Aber von dir steht nichts in der Akte.«
»Von vielen Leuten steht nichts in der Akte.«
»Zum Beispiel?«
»Philippe St. Pierre. Botschafter Sutherland.«
»Ninas
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