Verrat in Paris
zu zittern. Er versuchte mit aller Macht zu sprechen, doch heraus kamen nur unverständliche Laute. Madame Broussard beugte sich vor, um ihn zu verstehen. Erstaunt schüttelte sie den Kopf.
»Wir haben den Bericht gelesen«, sagte Beryl, »den er vor zwanzig Jahren geschrieben hat. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um Mord und Selbstmord handelte. Hat er das wirklich geglaubt?«
Wieder übersetzte Madame Broussard.
Broussard musterte Beryl eindringlich. Er wirkte erstaunt, beinahe so, als würde er sie wiedererkennen.
Seine Frau wiederholte die Frage. Glaubte er, dass es sich um Mord und Selbstmord gehandelt hatte?
Langsam schüttelte Broussard den Kopf.
Jordan fragte: »Versteht er die Frage?«
»Natürlich!« fuhr Madame Broussard ihn an. »Ich sagte Ihnen doch, dass er alles versteht.«
Der Mann tippte jetzt auf eines der Fotos, als ob er etwas zeigen wollte. Seine Frau fragte ihn etwas auf Französisch. Daraufhin tippte er noch stärker auf das Bild.
»Versucht er, uns etwas zu zeigen?« fragte Beryl.
»In der Ecke des Fotos«, sagte Richard. »Da sieht man einen leeren Flur.«
Broussards Körper zitterte, so sehr quälte er sich damit, sich verständlich zu machen. Seine Frau beugte sich wieder zu ihm, um seine Worte zu entschlüsseln. Sie schüttelte den Kopf. »Es ergibt keinen Sinn.«
»Was hat er gesagt?« fragte Beryl.
»
Serviette.
Also Serviette oder Handtuch. Ich verstehe das nicht.« Sie nahm ein Handtuch vom Waschbecken und hielt es ihrem Mann hin. »
Serviette de toilette?
«
Verärgert schüttelte er den Kopf und schlug das Handtuch weg.
»Ich weiß nicht, was er meint«, sagte Madame Broussard seufzend.
»Aber ich vielleicht«, warf Richard ein. Er beugte sich zu Broussard hinunter. »
Porte documents?
« fragte er.
Broussard seufzte erleichtert auf und sank ins Kissen zurück. Er nickte erschöpft.
»Das hat er also versucht zu sagen«, sagte Richard. »
Serviette porte documents.
Aktentasche.«
»Aktentasche?« wiederholte Beryl. »Glaubst du, er meint die mit der geheimen Akte?«
Richard sah Broussard fragend an. Der Mann war erschöpft, sein Gesicht sah grau aus vor dem weißen Bettzeug.
Madame Broussard sah ihren Mann an und schritt ein. »Keine Fragen mehr, Mr. Wolf! Sehen Sie ihn an! Er ist völlig fertig – er kann Ihnen nichts mehr sagen. Bitte gehen Sie jetzt!«
Sie scheuchte sie eiligst aus dem Zimmer und hinaus auf den Flur. Eine Nonne mit einem Tablett voller Medikamente ging an ihnen vorbei. Am Ende des Flurs sang eine Frau im Rollstuhl sich selbst französische Schlaflieder vor.
»Madame Broussard«, sagte Beryl. »Wir haben noch mehr Fragen, aber für Ihren Mann ist das zu anstrengend. In dem Bericht ist noch von einem anderen Polizeibeamten die Rede – einem gewissen Etienne Giguere. Wie können wir ihn erreichen?«
»Etienne?« Madame Broussard sah sie überrascht an. »Wissen Sie es denn nicht?«
»Was denn?«
»Er starb vor neunzehn Jahren. Er wurde von einem Auto überfahren, als er über die Straße ging.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Der Fahrer wurde nie ausfindig gemacht.«
Beryl sah Jordans erstaunten Blick; sie sah in seinen Augen dasselbe Unbehagen, das sie auch verspürte.
»Noch eine letzte Frage«, sagte Jordan. »Wann hatte Ihr Mann den Schlaganfall?«
»1974.«
»Also auch vor neunzehn Jahren.«
Madame Broussard nickte. »Für die Abteilung war es eine Katastrophe. Erst der Schlaganfall meines Mannes, und drei Monate später kommt Etienne ums Leben.« Seufzend wandte sie sich wieder in Richtung Zimmer. »Aber so ist das Leben, nicht wahr? Man kann ja nichts dagegen machen.«
Als sie wieder draußen waren, standen sie einen Moment stumm in der Sonne und versuchten, die deprimierende Stimmung wieder abzuschütteln.
»Fahrerflucht?« begann Jordan. »Man hat den Fahrer nie ausfindig gemacht? Irgendwie kommt mir das komisch vor.«
Beryl sah am Eingangsportal hoch. »
Maison de Convalescence
«
,
murmelte sie sarkastisch. »Hier kann man doch nicht gesund werden. Hier stirbt man eher.« Sie bekam eine Gänsehaut und ging zum Auto. »Bitte lasst uns fahren.«
Sie fuhren in Richtung Norden, zur Seine. Wieder folgte ihnen der blaue Peugeot, doch diesmal nahm keiner von ihnen Notiz von ihm; die französische Agentin war schon ein Teil ihres Lebens geworden – fast sogar ein beruhigender.
Plötzlich sagte Jordan: »Halten Sie an, Wolf. Lassen Sie mich am Boulevard Saint-Germain raus. Das heißt, hier wäre es noch
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