Verrat in Paris
blickte in das Gesicht der Person, die auf ihn zielte. Das alles ergab keinen Sinn, überhaupt keinen Sinn!
»Warum?« fragte Bernard.
Die Antwort war der dumpfe Knall der schallgedämpften Automatic. Die Wucht der Kugel schleuderte ihn zu Boden, neben Madeline. Für ein paar Sekunden war er sich der Nähe ihres Körpers bewusst, der Nähe ihres Haares, das wie Seide durch seine Finger glitt. Er streckte die Hand aus und streichelte schwach ihren Kopf. Meine Liebe, dachte er. Meine
Allerliebste.
Dann fiel seine Hand schlaff herunter.
8
1. Kapitel
Buckinghamshire, England Zwanzig Jahre später
Jordan Tavistock lümmelte sich in Onkel Hughs Sessel und betrachtete amüsiert das Porträt seines Vorfahrens, des unglückseligen Grafen von Lovat. Es hatte schon eine gewisse Komik, dachte er, dass sie Lord Lovat den Ehrenplatz über dem Kaminsims zugeteilt hatten. Ein Paradebeispiel für ihre skurrile Art. Sie stellten ausgerechnet denjenigen ihrer Ahnen aus, der im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf im Tower Hill verloren hatte. Er war der Letzte gewesen, den man in England offiziell enthauptet hatte – inoffizielle Enthauptungen zählten nicht. Jordan erhob sein Glas und trank einen Schluck Sherry auf das Wohl des glücklosen Grafen. Er war geneigt, sich ein zweites Glas einzugießen, aber es war schon halb sechs, und bald würden die Gäste zum Empfang anlässlich des »Sturms auf die Bastille« eintreffen. Ich sollte wenigstens ein paar meiner grauen Zellen übrig lassen, ermahnte er sich. Vielleicht brauche ich sie noch für den Smalltalk. Smalltalk rangierte unter Jordans meistgehassten Beschäftigungen ganz oben.
Meistens gelang es ihm, sich vor den Kaviar- und
Krawattenrunden seines Onkels Hugh zu drücken, zu denen dieser so gern einlud. Aber der heutige Abend – veranstaltet zu Ehren seiner Hausgäste Sir Reggie und Lady Helena Vane –
versprach, etwas interessanter zu werden als die üblichen Empfänge. Es war die erste große Party, die Onkel Hugh seit seinem Ausscheiden aus dem britischen Geheimdienst gab, und eine Reihe seiner ehemaligen Kollegen vom MI 6 wurde erwartet. Dazu kamen ein paar alte Bekannte aus seiner Zeit in 9
Paris, die alle wegen des Wirtschaftsgipfels gerade in London weilten. Es könnte also ein spannender Abend werden. Denn immer, wenn Diplomaten und ehemalige Agenten aufeinander trafen, kamen überraschende Geheimnisse ans Licht.
Jordan sah auf, als sein Onkel leise vor sich hin schimpfend ins Arbeitszimmer kam. Er trug bereits seinen Smoking und versuchte erfolglos, seine Fliege zu binden; schließlich gelang es ihm, eine Art störrischen Kreuzknoten zu machen.
»Jordan, hilf mir doch bitte mal mit diesem verdammten Ding«, bat Hugh.
Jordan erhob sich aus seinem Sessel und löste den Knoten wieder.
»Wo ist Davis? Er kann so was viel besser als ich.«
»Ich habe ihn gerade deine Schwester holen geschickt.«
»Ist Beryl schon wieder weg?«
»Natürlich. Erwähne das Wort ›Cocktailparty‹, und weg ist sie.«
Jordan band seinem Onkel die Fliege. »Beryl mochte Partys noch nie. Mal ganz unter uns: Ich glaube, sie hat genug von den Vanes.«
»Meinst du? Aber sie sind so nette Gäste. Sie passen so gut dazu –«
»Es sind die kleinen Gemeinheiten, die sie austauschen.«
»Ach, das meinst du. So waren sie schon immer. Mir fällt das schon gar nicht mehr auf.«
»Ist dir aufgefallen, dass Reggie Beryl nachläuft wie ein Hündchen?«
Hugh lachte. »Bei hübschen Frauen wird Reggie zu einem Hündchen.«
»Kein Wunder, dass Helena ihn dauernd anmeckert.«
Jordan ging einen Schritt zurück und betrachtete die Fliege 10
seines Onkels mit einem Stirnrunzeln.
»Wie sehe ich aus?«
»Das muss reichen.«
Hugh sah auf die Uhr. »Ich sehe besser noch mal in der Küche nach, ob alles in Ordnung ist. Und warum sind die Vanes noch nicht unten?«
Wie aufs Stichwort hörten sie zwei streitende Stimmen im Treppenhaus. Lady Helena schimpfte wie so oft mit ihrem Mann. » Irgendjemand muss es dir ja mal sagen«, rief sie gerade aus.
»Ja, und dieser Jemand bist immer du.«
Sir Reggie flüchtete sich ins Arbeitszimmer, seine Frau folgte ihm. Jordan war bei jedem Treffen wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie wenig die beiden zueinander passten. Der grauhaarige und gut aussehende Sir Reggie überragte seine unscheinbare Frau um Längen. Vielleicht lag es an Helenas Erbe, dass die beiden zusammengefunden hatten; mit Geld ließen sich gewisse Defizite schon seit jeher
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