Verrat in Paris
entdeckte er den Abzweig nach Chetwynd. Da standen die majestätischen Ulmen, von denen die
schwarzhaarige Frau gesprochen hatte. Noch beeindruckender war freilich das Anwesen am Ende der Straße. Es war alles andere als ein einfaches Landhaus; es war ein Schloss mit Türmchen und efeuberankten Mauern. Kunstvoll angelegte Gärten dehnten sich kilometerweit aus, und es gab einen gepflasterten Weg zu einem mittelalterlichen Irrgarten. Und hierher hatte sich der alte Hugh Tavistock nach vierzig Jahren Dienst im Auftrag ihrer Majestät zurückgezogen. Das Grafendasein hatte also doch seine Vorteile – denn so viel Geld verdiente man sicher nicht als Staatsbediensteter. Und er hatte Hugh immer für einen bodenständigen Typen gehalten, keinesfalls für einen dieser noblen Gentlemen vom Lande. Er wirkte so unprätentiös, spielte sich nicht auf; er hatte immer den Eindruck eines zerstreuten Beamten gemacht, der eher zufällig ins Allerheiligste des MI 6 geraten war.
Von all der Grandezza amüsiert, schritt Richard die Stufen hoch, passierte die Sicherheitsschleuse und betrat sicheren Schrittes den Ballsaal.
Unter den Gästen bemerkte er eine Menge bekannter
Gesichter. Der Londoner Wirtschaftsgipfel hatte Diplomaten und Finanzgrößen aus ganz Europa angelockt. Sofort entdeckte er den amerikanischen Botschafter bei der typisch prahlerischen 19
Art von Kontaktpflege, die Diplomaten so an sich haben. Auf der anderen Seite des Raums standen drei Personen, die er noch aus Paris kannte. Philippe St. Pierre, der französische Finanzminister, vertieft ins Gespräch mit Reggie Vane, dem Chef der Pariser Filiale der Bank of London. Neben Reggie stand seine Frau Helena, die wie immer ignorant und schlecht gelaunt wirkte. Ob er diese Frau jemals glücklich gesehen hatte?
Das laute und etwas vulgäre Lachen einer Frau lenkte Richards Aufmerksamkeit auf eine weitere Bekannte aus Pariser Zeiten – Nina Sutherland, die Witwe des ehemaligen
Botschafters, heute in einem Kleid aus grüner Seide, verziert mit Glasperlen. Obwohl ihr Mann schon lange tot war, tauchte sie noch immer in schöner Regelmäßigkeit auf allen diesen Veranstaltungen auf. Neben ihr stand ihr zwanzigjähriger Sohn Anthony, der angeblich Künstler war. In seinem lila Hemd war er jedenfalls eine ebenso auffällige Erscheinung wie seine Mutter. Ein prächtiges Gespann, die beiden! Wie ein Pfauenpärchen! Offensichtlich hatte Nina, eine ehemalige Schauspielerin, ihrem Sohn Anthony den Sinn für Extravaganz vererbt.
Um den Sutherlands nicht zu begegnen, wandte sich Richard dem Büfett zu, das von einer Eisskulptur in Form des Eiffelturms geschmückt wurde. Das Motto dieser Party war unübersehbar. Heute Abend war einfach alles französisch: die Musik, der Champagner, sogar eine Trikolore hing von der Decke.
»Da möchte man doch fast die ›Marseillaise‹ schmettern«, sagte eine Stimme.
Richard drehte sich um und sah einen großen blonden Mann neben sich stehen. Er war schlank, hatte einen aristokratischen Gesichtsausdruck und schien sich in dem gestärkten Hemd und dem Frack nicht unwohl zu fühlen. Lächelnd reichte er Richard ein Glas Champagner. Das Licht des Kronleuchters spiegelte sich in der perlenden Flüssigkeit. »Sie sind Richard Wolf«, 20
stellte der Mann fest.
Richard nickte und nahm das Glas. »Und Sie sind …?«
»Jordan Tavistock. Onkel Hugh hat mir gesagt, wer Sie sind.
Da dachte ich, ich gehe mal rüber und stelle mich vor.«
Die beiden schüttelten sich die Hände. Jordans Händedruck war fest, ganz anders, als Richard es von zarten
Aristokratenhänden erwartet hätte.
»Sagen Sie«, fing Jordan an und nahm sich selbst auch ein Glas Champagner, »in welche Kategorie gehören Sie? Agent, Diplomat oder Finanzexperte?«
Richard lachte. »Muss ich diese Frage beantworten?«
»Nein. Aber fragen schadet ja nichts. So kommt man besser ins Gespräch.« Er nahm einen Schluck und lächelte. »Es ist eins von meinen Spielchen. Das macht die Partys interessanter. Ich schnappe ein paar Wörter auf und versuche herauszufinden, wer zum Geheimdienst gehört. Die Hälfte der Leute hier ist oder war dabei.« Jordan sah sich im Raum um. »Stellen Sie sich vor, wie viele Geheimnisse in diesen Köpfen gespeichert sind.«
»Sie kennen sich in der Branche wohl aus?«
»Wenn man in diesem Haushalt aufgewachsen ist, bleibt einem nichts anderes übrig.« Jordan sah Richard einen Moment an. »Mal sehen. Sie sind Amerikaner …«
»Stimmt.«
»Und
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