Verrat in Paris
ausgleichen.
Als es kurz vor sechs war, schenkte Hugh vier Gläschen Sherry ein und reichte sie seinen Gästen. »Bevor die Massen ankommen«, sagte er. »Ich trinke auf eure sichere Rückkehr nach Paris.« Sie tranken. Dieser letzte Abend im Kreise alter Freunde hatte etwas von einer feierlichen Zeremonie.
Jetzt erhob Reggie sein Glas in Richtung des Gastgebers. »Auf die englische Gastfreundschaft, die wir immer wieder zu schätzen wissen!«
Von der Einfahrt hörte man einen Wagen auf dem Schotter vorfahren. Alle spähten aus dem Fenster, um zu sehen, wer die ersten Ankömmlinge waren. Der Chauffeur öffnete die Wagentür, und eine Dame in den Fünfzigern stieg aus, ihren reifen Körper umschmeichelte ein grünes Kleid, das über und über mit Perlen besetzt war. Hinter ihr tauchte ein junger Mann 11
in einem lilafarbenen Seidenhemd auf. Er nahm ihren Arm.
»Ach du lieber Himmel, Nina Sutherland mit ihrem
unmöglichen Sohn«, murmelte Helena. »Auf welchem Besen ist die hierher geflogen?«
Nina Sutherland bemerkte, dass die vier am Fenster standen.
»Hallo Reggie! Helena!« rief sie mit einer Stimme, tief wie ein Fagott.
Hugh setzte sein Sherryglas ab. »Zeit, die Barbaren zu begrüßen«, murmelte er seufzend. Und er und die Vanes verschwanden Richtung Vordertür, um die Gäste willkommen zu heißen.
Jordan ließ sich noch etwas Zeit, trank seinen Sherry aus, setzte ein Lächeln auf und machte sich bereit fürs
Händeschütteln. Die Stürmung der Bastille – was für ein Vorwand für eine Party! Er strich noch einmal über seine Frackschöße und über sein Rüschenhemd und machte sich dann resignierend auf den Weg zum Eingang. Der Zirkus konnte losgehen.
Die Frage war nur, wo um Himmels willen seine Schwester war.
Diese ritt zur selben Zeit wie eine Besessene über eine Wiese.
Die gute alte Froggie braucht Bewegung, dachte Beryl. Und ich auch. Sie stemmte sich gegen den Wind, fühlte Froggies Mähne in ihrem Gesicht und sog den wunderbaren Geruch des Pferdes, des Klees und der juliwarmen Erde ein. Froggie freute sich genauso sehr wie sie, wenn nicht noch mehr. Beryl fühlte die angespannten Muskeln der Stute, ihre Bereitschaft, das Tempo noch weiter zu erhöhen. Sie ist ein Teufel, so wie ich, dachte Beryl und musste plötzlich laut lachen – dieses wilde Lachen, das der arme Onkel Hughie so fürchterlich fand. Doch hier draußen, auf freiem Feld, konnte sie so wild und wollüstig lachen wie sie wollte. Keiner hörte sie. Könnte sie doch nur für 12
immer so weiter reiten! Ihr Leben schien voller Zäune und Mauern zu sein. Zäune im Kopf, Zäune im Herzen. Sie trieb ihr Pferd weiter an, als ob sie, wenn sie schneller ritt, vor den bösen Gedanken fliehen könnte, die sie verfolgten.
Die Stürmung der Bastille. Ein komischer Anlass für eine Party.
Aber Onkel Hugh liebte solche Partys, und die Vanes waren nun mal alte Freunde der Familie; sie verdienten eine würdige Verabschiedung. Sie hatte sich die Gästeliste angesehen, und es standen dieselben langweiligen Leute wie immer darauf.
Führten ausgediente Agenten und Diplomaten kein
spannenderes Leben? Einen pensionierten James Bond konnte sie sich schließlich auch nicht gerade bei der Gartenarbeit vorstellen.
Doch genau damit beschäftigte sich Onkel Hugh den lieben langen Tag. Sein Highlight der Woche war die Ernte der ersten hybriden Nepaltomate gewesen – so früh hatte er noch nie eine Tomate geerntet! Und was die Freunde ihres Onkels betraf: Die konnte sie sich noch weniger vorstellen, wie sie durch dunkle Gassen in Paris oder Berlin schlichen. Vielleicht gerade noch Philippe St. Pierre – ihn vielleicht, als er noch jünger war; denn auch jetzt, mit 62, war er immer noch charmant und ein echter französischer Ladykiller. Und Reggie Vane hatte vor ein paar Jahren sicher auch keine so schlechte Figur gemacht. Aber die meisten von Onkel Hughs alten Kollegen wirkten doch eher …
verbraucht.
Ich nicht. Niemals.
Sie galoppierte schneller und ließ Froggie freien Lauf.
Sie rasten über das letzte Stück Wiese und durch ein kleines Wäldchen. Froggie war inzwischen außer Atem und verfiel in einen langsameren Trab, schließlich ging sie Schritt. An der Steinmauer bei der Kirche hielt Beryl sie an und stieg ab. Der Friedhof lag verlassen da, die Grabsteine warfen lange Schatten 13
über den Rasen. Beryl kletterte über die niedrige Mauer und ging zu der Stelle, die sie schon so oft besucht hatte. Ein schmucker Grabstein ragte über
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