Verraten
anrufen können: unser A-Team. Manches probiere ich selbst aus. In Verraten wird Sil Maier in einem ausgeschlachteten Badezimmer gefangen gehalten. Da habe ich mich selbst in so ein Bad gesetzt, um herauszufinden, ob und wie man da herauskommen kann. Man hält immer Augen und Ohren offen.
Jeder der drei Thriller ist abgeschlossen und kann für sich gelesen werden. Als roter Faden zieht sich jedoch durch alle Romane die Beziehung der Protagonisten Sil und Susan. Können Sie uns etwas mehr über Ihre Hauptfiguren erzählen und darüber, was beide aneinander fasziniert?
Berry: Sie sind Seelenverwandte, füreinander bestimmt oder zueinander verdammt, je nach Blickwinkel des Betrachters.
Esther: Ich glaube, dass sie beide auf ihre Art sehr einsam sind und diese Einsamkeit im anderen wiedererkennen.
Sil hat eine außergewöhnliche Beschäftigung, von der er geradezu besessen ist: Er beobachtet kriminelle Organisationen, dringt unter Lebensgefahr in ihre Schaltzentralen ein und raubt deren Beute. Was hat Sie auf diese Idee gebracht?
Esther: Sie ist aus meiner eigenen Rastlosigkeit heraus entstanden. Damals war ich in einem Schema gefangen, habe hundert Stunden pro Woche gearbeitet. Verdient habe ich genug, aber mir fehlte die Inspiration.
Maier tut, wovon viele Leute träumen: Er lebt seine Verliebtheit tatsächlich aus und setzt dadurch seine Ehe aufs Spiel, er rächt sich tatsächlich an dem arroganten Chef seiner Frau. Er ist die Personifizierung der dunklen Phantasien, die wir alle manchmal haben. Sein Charakter ist im Laufe des Schreibprozesses entstanden, intuitiv, nicht geplant. Im Nachhinein wirkt alles stimmig: Was Maier tut, ist für ihn die ultimative Form der Suche nach dem Kick. Der Mann ist intelligent, schnell gelangweilt, durchtrainiert. Bungeejumping ist ihm zu passiv und für einen Job als Ermittler oder Soldat ist er zu sehr Einzelgänger. Berry: Und jeder Autorität abhold. Zwar ist Maier gesellschaftlich in jeder Hinsicht erfolgreich, aber erfüllt von extremer existenzieller Unruhe. Die Leser reagieren ziemlich unterschiedlich auf ihn, das ist ein Aspekt, der seine Figur so attraktiv macht. Der eine sieht einen Serienmörder oder egoistischen Gefahrensucher in ihm, ein anderer wird beim Lesen von spontaner Sympathie erfasst.
Der gefährlichste Gegner von Sil ist Wadim, ehemals Angehöriger einer militärischen Spezialeinheit und heute als Auftragsmörder tätig. Er arbeitet hochprofessionell, ist mitleidslos und äußerst brutal. Doch trotz seiner Härte und Grausamkeit ist er unter allen Verbrechern Ihrer Trilogie die zwiespältigste Figur. Können Sie uns etwas mehr über ihn erzählen?
Esther: Die Idee zu den russischen Zwillingsbrüdern Yuri und Wadim wurde geboren, nachdem ich eine Dokumentation über die schreckliche Armut und hoffnungslose Situation der russischen Bauern gesehen hatte, eine große Bevölkerungsgruppe, die von ihrer eigenen Regierung ganz einfach negiert wird. Das hat mich stark beeindruckt. Ich hatte außerdem gelesen, dass junge Männer einen Ausweg suchten, indem sie zur russischen Armee gingen, obwohl das beinahe bankrotte Land ihnen Monate lang keinen Sold auszahlen konnte. In diesem Fall ist es nur eine Frage der Zeit, wann solche jungen Männer von kapitalkräftigen Kriminellen rekrutiert werden. Diese Informationen habe ich kombiniert. Indem ich Yuri und Wadim eine persönliche Geschichte gebe und diese in eine historische Perspektive rücke, wirken sie lebensechter. Werden menschlich.
Häufig werden Menschen in Extremsituationen geschildert: Sie stehen unter größtem Stress, müssen starke Schmerzen und Folter ertragen, um ihr Leben kämpfen und dem Tod ins Auge sehen. Wie versetzen Sie sich in die Lage dieser Menschen, um ihre physischen und psychischen Reaktionen glaubwürdig schildern zu können?
Esther: Ich lese viel über solche Themen, wahre Geschichten, Bücher über Traumata und Psychologie. Wir reisen viel und begegnen dabei natürlich auch Leuten, die viel mitgemacht haben. Einem amerikanischen Soldaten, der eine Explosion in Bagdad überlebt hat, einem Ermittler, der eine Kugel in die Schulter abbekommen hat. Diese Erfahrungen absorbiert und speichert man. Danach muss man sich sehr intensiv in die jeweilige Person hineinversetzen, ihr ganz nahe rücken und sehen, was sie sieht, riechen, was sie riecht, fühlen, was sie fühlt. Ich schreibe oft nachts, weil ich dann müde bin und mich dadurch besser in einen Zustand der Übermüdung und
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