Verraten
sie.
Sie sah aus wie eine Leiche. Eine leblose Meryl Streep.
Gott sei Dank gab es Männer, die so etwas attraktiv fanden.
Nach einer letzten nervösen Inspektion eilte sie den Flur entlang. Öffentlicher Bereich, also Bauch einziehen, Schultern straffen, Augenbrauen leicht hochziehen, um die beginnenden Hängelider zu kaschieren, und forscher Schritt. Sie war kurz vor einem Nervenzusammenbruch, aber keine Frau sollte sich hinter ihrem Rücken über Symptome beginnenden Verfalls lustig machen können. Ihr Ziel war es, immer und überall einen positiven Eindruck zu hinterlassen, egal, wie unbedeutend der Anlass auch sein mochte. Vor allem hier war das wichtig, innerhalb des Stahl- und Glaspalastes von Programs4You.
Fast fünf Jahre lang hatte sie hart gearbeitet, ohne je einen Fehler zu machen. Eine vorbildliche Kraft. Jetzt war die Zeit gekommen, die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten. Sie konnte nicht umhin festzustellen, dass sie die richtige Frau am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt war.
Das war die Chance ihres Lebens.
Pauls Büro lag im obersten Stockwerk des ultramodernen Gebäudes, auf der Direktionsetage. Dort gab es keine Fenster. Im gesamten Stockwerk nicht. Das ganze Gebäude war transparent, bis auf das oberste Stockwerk, das von außen aussah wie ein rechteckiger schwarzer Block.
Durch die offene Tür sah sie, dass er telefonierte, in der für ihn typischen Haltung: halb in einem schwarzen Sessel liegend, einen Fuß auf dem Schreibtisch, einen Stift in der Hand, mit dem er ungeduldig auf den Schreibtisch klopfte. Er wirkte wie ein kleiner Junge im Kino, der nicht den ganzen Film über still sitzen konnte und schon nach fünf Minuten quer in seinem Sitz hing. Mit einem Wink gab er ihr zu verstehen, dass sie hereinkommen und ihm gegenüber Platz nehmen sollte. Dabei fuhr er fort zu telefonieren. Alice schaute sich um. So oft kam sie nun auch wieder nicht hierher, in dieses Büro, das bei den Angestellten von Programs4You als »Höhle des Löwen« galt. Schwarzer Teppichboden, drei schwarze Wände. Die vierte Wand direkt gegenüber von Pauls lederbezogenem Schreibtisch war dagegen vollständig mit Spiegelglas verkleidet, sodass er den ganzen Tag die Person vor Augen hatte, die ihm am meisten am Herzen lag. Der Raum wurde von Spots erhellt, die in die schwarze Decke eingelassen waren.
Sie war beeindruckt. Was vermutlich der Zweck des Ganzen war.
»Du hast es schon gehört, nehme ich an?«
Sie schrak aus ihren Gedanken auf und nickte mechanisch. » Dreams4 You wird produziert«, sagte sie. »Herzlichen Glückwunsch. Bestimmt bist du sehr zufrieden damit.«
Er saugte auf eine kindliche Art seine Unterlippe ein und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Den Stift hatte er inzwischen weggelegt. Noch immer blickte sie auf die Sohle einer seiner Schuhe. Van Bommels.
»Zufrieden? Kann man wohl sagen. Endlich habe ich diese trägen Säcke so weit gekriegt. Hat mich eine Stange Geld gekostet, sie zu mästen und abzufüllen. Aber der Vertrag ist unterzeichnet. Veni, vidi, vici! « Während seines gesamten Monologes hatte er kampflustig sein eigenes Spiegelbild hinter ihr angeschaut.
»Wo soll die Sendung denn ausgestrahlt werden?«
»Auf Y «, antwortete er. »Hätte nie gedacht, dass die sich darauf einlassen. Aber wir haben’s geschafft. Wir kriegen einen Sendeplatz zur Primetime, mit allem Pipapo.«
»Das freut mich für dich.«
»Wir werden Geschichte machen, das versichere ich dir. Und nicht nur ich habe Grund zur Freude.«
Sie hatte einen Kloß im Hals und wartete gespannt. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich.
»Ich habe auch an dich gedacht«, sagte er dann plötzlich. »Die Einzelheiten würde ich gerne beim Mittagessen mit dir besprechen.«
Er warf einen Blick auf die Breitling an seinem Handgelenk. »Sagen wir … so gegen eins unten im Foyer. Wir machen es kurz. Das Karussell dreht sich, und der Zufall will es, dass ich es bewege. Allzu lange kann ich mich nicht freimachen.«
Auf dem weißen Kiesparkplatz des Lokals standen dicht gedrängt Luxuskarossen der Marken Mercedes, Jaguar und BMW. Paul würdigte den offiziellen Parkplatz keines Blickes, fuhr mit seinem BMW 735i Executive kurzerhand durch bis zum Eingang und hielt genau vor dem Schild Parken verboten.
Alice bemerkte, dass unter den Gästen in dem voll besetzten Restaurant eine kurze Stille eintrat, als er hereinkam. Es amüsierte ihn sichtlich. Sie konnte es ihm
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