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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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meinst.«
    Es wurde bereits dunkel. Alice steckte im Stop-and-goVerkehr. Die Strecke über Almere-Zeist war nach Feierabend eine Geduldsprobe. Doch heute war sie nicht böse darum, denn das gab ihr Zeit zum Nachdenken. Das Gespräch mit Paul hatte unangenehme Erinnerungen wachgerufen. Sie überfielen sie jetzt mit einer solchen Macht, dass sie wehtaten, als sei es gestern gewesen. Dabei war es jetzt schon fast vier Jahre her, dass Sil mit der Mitteilung nach Hause gekommen war, er habe Sagittarius verkauft, seine Firma, die kurz vor dem Durchbruch zu einem der Marktführer auf dem Softwaremarkt stand. Dabei hatte es ihn Jahre gekostet sie aufzubauen. Verbissen wie ein Pitbullterrier hatte er darum gekämpft. Sagittarius war sein Lebensinhalt gewesen. Und plötzlich sollte das alles vorbei sein. Einfach so, von einem Tag auf den anderen.
    Aber das war noch nicht alles gewesen. Im gleichen Atemzug hatte er sie gebeten, ihre Stelle bei Programs4You zu kündigen, und hatte ihr erzählt, er habe mit einem Makler gesprochen, der wahrscheinlich schon einen Interessenten für den Bungalow an der Hand habe. Den Bungalow, den er selbst entworfen und in dessen Bau er seine gesamte Freizeit investiert hatte.
    Es lief darauf hinaus, dass er ein neues Leben anfangen wollte, in dem kein Platz mehr war für grundlegende Dinge wie Arbeit, ein Haus und Alltagsroutine. Und er wollte weg aus den Niederlanden. Er erwartete, dass sie ihm dankbar folgen würde und mit ihm zusammen durch die Weltgeschichte zöge, ohne festen Wohn- oder Aufenthaltsort. Sie erinnerte sich noch genau an seine Worte: »Alice, kannst du dir das Gefühl vorstellen, jeden Tag ein kleines Stück mehr zu sterben, weil einen nichts mehr innerlich berührt?«
    Dabei hatte er sie todernst angesehen. Sie erkannte ihren eigenen Mann nicht mehr wieder. Sie dachte sofort an das Schlimmste: dass er sie verlassen wollte. Und sie allein zurückbliebe.
    Sie war vor Angst wie gelähmt gewesen.
    Doch ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Als er sah, wie verstört sie war, rief er noch am selben Abend den Makler an und teilte ihm mit, dass er von dem Verkauf absehe. Auch ihre Stelle hatte sie behalten können. Und er war nicht fortgegangen.
    Obwohl er tatsächlich einen anderen Lebensinhalt gefunden hatte, hatte er ihr niemals das Gefühl gegeben, dass sie überflüssig war.
    Sie kam in ein leeres Haus. Nervös las sie den Zettel, der auf dem Esszimmertisch lag. In kräftigen, mit Kuli geschriebenen Blockbuchstaben teilte Sil ihr mit, dass er zu einem Projekt gerufen worden sei und erst spät nach Hause käme.
    Normalerweise mochte sie es nicht, wenn er abends nicht zu Hause war. Heute jedoch fühlte sie sich eher erleichtert.
    Sie war froh, dass sie ihm in diesem Zustand nicht unter die Augen treten musste. Sil besaß die Gabe, andere unmittelbar zu durchschauen, und heute gab es vieles zu sehen, was ihm gar nicht gefallen hätte. Ideen und Gedanken, die alle abwechselnd um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Miteinander in Konflikt standen.
    Sie öffnete eine Flasche Wein, strich sich ein paar Scheiben Toast und legte eine CD mit kubanischer Musik auf. Anschließend machte sie es sich auf dem Sofa bequem und zappte durch die Programme, bis sie auf Die Brücken am Fluss stieß, der erst seit zehn Minuten lief. Sie schaltete den CD-Player aus und legte die Fernbedienung beiseite.
     

4
     
    Sie betraten gemeinsam einen Kellerraum. Umarmten sich. Klopften sich auf den Rücken. Mit angespannten Mienen.
    Es gab ein Problem.
    Einer von ihnen war draußen geblieben, im Schutze eines Hauseingangs. Er zündete sich eine Zigarette an und legte unter seinem Mantel die Hand auf eine voll geladene Zastava HS95. Im Magazin steckten fünfzehn 9-Millimeter-Parabellum-Patronen. Beim geringsten Verdacht würde er schießen. Die Lage war ernst. Er lehnte lässig an der Mauer, doch seine Augen huschten ständig hin und her. Er war geladen, genau wie seine Pistole.
    In der Mitte des Kellerraumes stand ein Tisch mit wackligen Metallbeinen und einer von Zigarettenkippen misshandelten Resopalplatte. An der niedrigen Decke hingen einige Neonröhren, deren Halterungen fast gänzlich hinter einer dichten Zigarettenrauchwolke verschwanden, die sich in einer dunklen Schicht unter der Decke sammelte. Der Raum war in eine grünliche Atmosphäre gehüllt.
    Alle schwiegen. Schauten sich an. Wussten, wie heikel die Situation war.
    Der alte Mann ergriff als Erster das Wort. Er wandte sich an einen jungen Mann

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