Verraten
hatte seinen Traum bereits gelebt. Jetzt war sie an der Reihe.
»Meine Arbeit ist meine Sache. Sil hat nichts damit zu tun.«
Sie wich seinen forschenden Blicken aus und betrachtete das Panorama. Der See glitzerte im Sonnenlicht, und sie zählte dutzende weiße und braune Segel.
»Was macht dein Mann eigentlich zurzeit?«, fragte er.
Sie schwieg einen Moment lang. Seine Frage weckte schmerzliche Erinnerungen.
»Er hat bis vor einiger Zeit eine eigene Softwarefirma geleitet. Die hat er inzwischen verkauft, und seitdem arbeitet er nur noch an kleineren Projekten. Er hilft jungen Leuten, sich selbstständig zu machen. Solche und ähnliche Projekte. Nur das, was ihm Spaß macht.«
Das musste reichen. Paul brauchte nicht alles zu wissen.
Er bemerkte ihr Zögern. »Jetzt sag mal ehrlich, Alice, wie steht es mit eurer Beziehung?«
»Gut. Ich kann nicht klagen.«
Wenn sie zu irgendetwas wirklich keine Lust hatte, dann mit ihrem Arbeitgeber ihre Ehe zu analysieren. Sie suchte Halt an ihrem Glas und trank noch einen Schluck Wein. Allmählich rächte es sich, dass sie heute Morgen ohne Frühstück aus dem Haus gegangen war. Sie fühlte sich leicht beschwipst.
»Also alles in Ordnung«, wiederholte er. »Nun, dann werden wir euch beide ja auf der Party zu unserem fünfjährigen Bestehen begrüßen können.«
Sie nickte. »Ja, ich freue mich schon darauf.«
Sie klang nicht besonders begeistert und hoffte, dass Paul es nicht bemerkt hatte. Lieber würde sich Sil einen Zahn ziehen lassen, als sie zu der Firmenparty von Programs4You zu begleiten. Seiner Meinung nach konnte man beim Theater und beim Fernsehen keinem über den Weg trauen, niemand sei da integer. Es sei nur eine Frage der Zeit, hatte er schon so oft prophezeit, bis auch sie das einsähe. Dies war nur einer der Punkte, in denen sie uneins waren. Um zu verhindern, dass die Unterschiede zwischen ihnen zu große Dimensionen annahmen, belästigte sie Sil so wenig wie möglich mit den Schwierigkeiten, mit denen sie bei den ersten Schritten zu ihrer Fernsehkarriere zu kämpfen hatte. Daher wusste Sil bisher von nichts.
Eine äußerst schwierige Situation.
Zwei Ober erschienen und servierten rasch und professionell zwei quadratische Teller mit einem kunstvollen Arrangement von Lachs- und Gemüsestreifen.
»Wir beide sitzen hier, Alice«, sagte Paul zwischen zwei Bissen, »weil ich an dich glaube. Ich glaube, du hast das Talent dazu, eine gute Comoderatorin zu werden, und ich glaube, dass das Publikum dich lieben wird. Doch dieses ganze Projekt kostet mich einen Batzen Geld, es liegt mir sehr am Herzen, und ich möchte nicht, dass mich früher oder später meine Moderatorin im Stich lässt, weil sie zu Hause zu sehr unter Druck gesetzt wird. Ein Moderatorenwechsel bringt zu viel Durcheinander mit sich. Dazu kommt, dass ich mich nicht gerne blind auf Leute verlasse, die ich nicht durch und durch kenne.«
»Ich versichere dir, dass ich dich nicht im Stich lassen werde, Paul. So gut müsstest du mich inzwischen doch kennen.«
»Ich habe ein gutes Gefühl bei dir, aber eine vernünftige Entscheidung kann ich nur aufgrund von Fakten treffen.«
Sie blickte ihn verständnislos an.
»Bring am Freitag deinen Mann mit«, befahl er.
Sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Sollte jetzt alles von Sil abhängen? Das war doch wohl nicht sein Ernst! Dann konnte sie die Sache vergessen. Paul musste die Panik, die in ihr aufstieg, an ihrem Gesicht abgelesen haben, denn er lehnte sich über den Tisch und blickte sie fest an.
»Ist dein Mann das alles wirklich wert?«, fragte er leise und streichelte ihr sanft über die Finger. »Ist er so umwerfend, dass du seine Wünsche über deine eigenen Bedürfnisse stellst? Schlägt er etwa nie über die Stränge?«
In Sekundenbruchteilen hatte sich die Atmosphäre zwischen ihnen gewandelt. Über den Tisch hinweg schaute er sie so selbstsicher und eindringlich an, dass ihr eiskalt wurde. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. Hatte ein paarmal zu oft mit angehört, wie Frauen die Treue ihres Mannes beschworen, obwohl die Zuhörer es besser wussten. Und selbst wenn ein Mann so treu war wie ein abgerichteter Deutscher Schäferhund, erntete man mitleidige Blicke, wenn man als Frau betonte, wie gut doch ihre Ehe sei.
Denn so genau konnte man es natürlich nie wissen.
Paul erkannte ihre Unsicherheit.
»Wenn er dich jemals verletzt, Alice, dann komm zu mir«, sagte er. Und fügte sanft hinzu: »Ich bin gar nicht so schlimm, wie du
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