Verrueckt nach Brause
graut es mir davor, denn, wenn es nur um das Besprechen der
wirklich wichtigen Punkte ginge, könnte so ein Elternabend um 20:30 Uhr wieder
beendet sein. Wären da nicht die einen oder anderen wichtigen Elternteile, die
sich in Diskussionen über Nebensächlichkeiten ergießen. So ein Abend dauert
dann schon mal locker bis 22 Uhr. Zum Glück habe ich meine überaus hilfsbereite
Nachbarin, Ingeborg Schmidt, die sich für diese Zeit in unsere Wohnung setzt,
um auf Tom aufzupassen. Tom liebt sie, für ihn ist sie die Oma Inge, die die
spannendsten Gute-Nacht-Geschichten erzählt. Und zuverlässig ist sie, und das Beste,
sie weigert sich beharrlich, Geld fürs Kindersitten anzunehmen. Sie sagt:
„Bevor ich abends alleine vor der Glotze sitze, kümmere ich mich lieber um
meinen kleinen Tom.“
Auch heute ist sie mal
wieder pünktlich auf die Minute. Punkt halb sieben steht sie vor der Tür, so
dass ich mich kurz danach zum Elternabend aufmachen kann.
Als ich um 18:50 Uhr
das Klassenzimmer betrete, ist die Crème de la Crème der Elternschaft schon da,
schon jetzt heiß verwickelt in eine Diskussion über die unsäglich wichtigsten
Themen. Ich verdrehe nur die Augen und zwinkere meiner Elternabend- und
Schulfeste-Leidensgenossin Andrea zu, die mir schon einen Platz freihält. Dann
lästern wir erst mal ein bisschen über die Hautevolee der Klasse. Wir zwei
haben da von Anfang an nicht zugehört und schon auf dem ersten Elternabend
zueinander gefunden, denn gleich und gleich gesellt sich ja bekanntlich gern.
Ich werde niemals
den Auftritt von Frau Dr. Wunderlich vergessen, den sie bereits auf unserem
allerersten Elternabend hingelegt hat. Alle Eltern saßen bereits auf ihren
Plätzen, als mit großer Geste eine stark geschminkte Dame im Nerzmantel mit
streng zurückgekämmten schwarzen Haaren, die in einem Dutt endeten, auf hohen Absätzen
in die Klasse getänzelt kam. Mit einem Mal wurde es ruhig und nicht nur ich saß
mit offenem Mund da. Später, in der allgemeinen Vorstellungsrunde, sagte sie:
„Guten Abend, ich
bin Frau Dr. Henriette Wunderlich, die Mutter von Alexander.“
Frau Doktor, dachte
ich und flüsterte Andrea, die damals noch zufällig neben mir saß, zu:
„Bestimmt
Nervenärztin und selbst ihre beste Patientin.“
Andrea bekam
daraufhin einen Lachkrampf vom Allerfeinsten, der sie schließlich zwang, die
Toilette aufzusuchen. Alle guckten mahnend in meine Richtung, und ich schämte
mich auch ein bisschen. Von da an waren Andrea und ich für alle
Grundschulzeiten die besten Elternabendkumpels.
Na ja, heute Abend
sitzen wir nun mal wieder hier, und heute weiß ich einiges mehr, nämlich z. B.,
dass die Henriette nicht mal selbst Ärztin ist, sondern nur ihr Mann einen
Doktortitel hat, mit dem sie sich gerne schmückt. Na, ziemlich wunderlich eben.
Aber die anderen Eltern scheinen noch immer sehr beeindruckt von ihr zu sein.
Schließlich ist sie nun schon das dritte Jahr in Folge
Klassenpflegschaftsvorsitzende. Sie kümmert sich aber auch echt um alles, ist
auch bei fast jedem Ausflug der Kinder mit dabei. Ihr Motto lautet:
„Nur an vorderster
Front kann man das Schicksal seiner Kinder mitbestimmen.“
Na, die hat ja gut
reden. In meinen Augen gehört sie zu den nicht berufstätigen Müttern, die es
als Lebensaufgabe haben, sich in der Schulpflegschaft zu engagieren und
herablassend auf uns arbeitende (Raben)-Mütter schauen. Mich grüßt sie ja nicht
mal. Ich bin mir nicht sicher, ob es Absicht ist oder sie jemanden wie mich in
ihrer selbstgefälligen Art einfach nicht bemerkt. Wie auch immer, ich grüße sie
jetzt immer zuerst nicht.
Als ich verstohlen
um neun auf die Uhr schaue, scheinen wir mit den Tagesordnungspunkten fast
durch zu sein. Super, dann kann ich ja gleich nach Hause gehen, denke ich noch,
als ich höre wie die Lehrerin, Frau Schneider, sagt:
„So, nun haben wir
nur noch TOP Verschiedenes. Diesen Punkt habe ich bewusst offengelassen, um den
Fragen und Anregungen der Elternschaft Raum zu geben.“
Oh nein, ich weiß,
was das bedeutet und schon meldet sich Frau Dr. zu Wort:
„Fasel, fasel,
blubber, bla…“
Um 22:05 Uhr sind
wir fertig. Auf nach Hause!
Bis ich an diesem
Abend endlich einschlafe, ist es bereits nach zwölf.
Als, wie gewohnt, um
6:00 Uhr mein Wecker klingelt, könnte ich losheulen. Nee, so lange Elternabende
sind für mich nichts. Ich fühle mich völlig gerädert.
Kapitel 3
Als ich um acht im
Büro ankomme, steht schon die Vorsteherdrüse im Türrahmen und
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