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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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besitzen, faszinierte sie. Wie eine Schauspielerin wurde sie es müde, nur eine einzige Rolle zu spielen – die Rolle, die das Schicksal ihr zugewiesen hatte. Sie war wie jene Menschen, die glauben, durch eine neue Anschrift oder einen neuen Namen den Verlauf ihres Lebens ändern zu können. Trotz ihres Alters und der natürlichen Grenzen, die ihr gesetzt waren, hatte sie schon fast alles ausprobiert. Sie hatte sogar versucht, ein Mann zu sein.
    Angesichts ihrer zahlreichen fluchtartigen Ortswechsel war es nicht leicht, ihr auf der Spur zu bleiben. Tony Bring zum Beispiel hatte sich einige Nächte zuvor der Illusion
    hingegeben, daß er vor ihrer Tür saß. Und es stimmte, daß sie einmal hier gewohnt hatte, doch war es zweifelhaft, daß Vanya sich noch daran erinnert hätte, hätte nicht ein unangenehmer Umstand diese Wohnung in ihrem Gedächtnis verankert. Bei diesem schmerzhaften Zwischenfall handelte es sich um ein Feuer, das sie aus einem Traum riß, in dem sie in einem Bett aus ungelöschtem Kalk gelegen hatte. Bevor sie sich davon überzeugen konnte, daß sie nicht träumte, hatte das Feuer schon ihre Kehrseite angesengt. Während der nächsten
    Wochen aß sie im Stehen und schlief auf dem Bauch.
    Brandwunden verheilen mit der Zeit, doch die Polizei wird man nicht so leicht wieder los. Als die Matratze verbrannte, flohen sechs Mitbewohner aus Vanyas Zimmer. Leider stellte sich heraus, daß drei davon Zwitter waren; die anderen drei waren Scheinzwitter. Man rief die Polizei, und Inspektoren vom Sittendezernat machten sich mit schlüpfrigen
    Gummihandschuhen an die Arbeit. Keiner glaubte Vanya auch nur ein Wort. Schließlich schaffte Hildred einen Politiker herbei, und die ganze Sache wurde begraben. Vanyas Name blieb jedoch in den Akten. Nach einiger Zeit begann sie, mit dieser Geschichte zu prahlen, und bedauerte, daß neben ihrem Namen lediglich »Erregung öffentlichen Ärgernisses« stand.
    Seit diesem Zwischenfall war sie einige Male umgezogen, und auch ihren Namen hatte sie mehrmals geändert. Tony Bring ahnte nichts davon, doch im Augenblick wohnte sie zwei Blocks von ihm entfernt in einem altmodischen Haus aus braunem Sandstein. Diese Nähe machte es Hildred leicht, ihre Freundin auf dem Weg zur Arbeit zu besuchen. Dann
    frühstückten sie in einem nahe gelegenen Restaurant anstatt im
    »Caravan«, wo Hildred zwar nicht zu bezahlen brauchte, wo sie sich aber einer mehr oder weniger diskreten Überwachung ausgesetzt sahen.
    Dennoch: Sie waren zwar intim befreundet, doch Hildred hatte ein paar kleine Geheimnisse vor Vanya. So hatte diese zum Beispiel keine Ahnung, daß ihre angebetete Hildred verheiratet war. Als ihr diese Tatsache enthüllt wurde, tat sie, als glaubte sie es nicht. Hildred war geschmeichelt. Sie gab sich der Illusion hin, unerreichbar zu sein.
    Diese Farce spielten die beiden sich über einen absurd langen Zeitraum vor. Schließlich platzte Tony Bring der Kragen.
    »Wenn du ihr nicht die Wahrheit sagst, tu ich es«, drohte er eines Tages.
    Doch Hildred gelang es, ihm das auszureden. »Weißt du«, sagte sie später, »ich dachte, es wäre sicherer zu sagen, daß wir einfach bloß so zusammenleben. Sie weiß, daß ich keine Jungfrau mehr bin. Außerdem kann ich einen Liebhaber haben, wann immer ich will. Wenn ich ihr die Wahrheit gesagt hätte, dann hätte bald jeder im Village gewußt, daß wir verheiratet sind.«
    Was daran so schlimm wäre, wollte Tony Bring wissen.
    »Wir können es uns nicht leisten, daß alle Bescheid wissen –
    das weißt du so gut wie ich«, antwortete sie gereizt. Und damit war das Thema erledigt – fürs erste jedenfalls.
    Etwa eine Stunde später fragte sich Tony Bring: Woher wußte Vanya, daß Hildred keine Jungfrau mehr war?

    4

    Gegen zwei Uhr morgens, kurz nach dieser Szene, kamen die beiden in sein Zimmer. Er lag im Bett. Er erwachte vom Quietschen der Tür, schlug die Augen auf und sah sie kichernd im Türrahmen stehen. Sie hatten Sandwiches und Kaffee
    mitgebracht.
    Während sie aßen, brachte Hildred eine Schüssel mit
    warmem Wasser für Vanyas Füße. Später trocknete sie die Füße liebevoll ab und rieb sie mit einer Hautcreme ein. Er sah ihr befremdet zu. Vanya nahm es ganz selbstverständlich hin.
    »Sieh dir das an«, sagte Hildred. »Was für schreckliche Blasen!«
    Vanya hob nonchalant die Füße und gähnte.
    »Nicht so schlimm«, sagte sie. »Bloß ein bißchen
    wundgescheuert.«
    Hildred war jedoch entrüstet. Mit Kamm und Bürste machte

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