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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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sie sich daran, Vanyas volles Haar zu entwirren. Vanya schmiegte sich in den Lehnsessel und wirkte so zufrieden wie eine Hündin, die man nach Flöhen absucht. Tony Bring
    beobachtete Hildred und die blaßgelben Zinken des Kamms in ihrer Hand, der so liebevoll durch das blauschwarze, volle Haar fuhr. Seine Gedanken waren nicht weniger finster…
    Man hatte beschlossen – Hildred hatte beschlossen –, daß Vanya über Nacht bleiben würde. Das Licht wurde gelöscht.
    Vanya lag in dem einen Bett, er im anderen. Sie hätten nur die Arme auszustrecken brauchen, um sich die Hände zu reichen.
    Hildred ging nervös auf und ab.
    Es war ein Kampf im Gange. Sie alle kämpften – sie
    kämpften miteinander, sie kämpften mit sich selbst, sie kämpften verzweifelt darum, nicht zu kämpfen. Plötzlich warf sich Hildred wie eine Welle, die vom Rand des Horizonts herangerast ist, zwischen sie. Als sie sich – ganz Blumen und Mondlicht – über ihn beugte, um ihm einen Gutenachtkuß zu geben, verspürte er das gräßliche Verlangen, sie zu erwürgen.
    Hin und wieder öffnete er die Augen und starrte auf die hingestreckten Gestalten, die sich unter der wolkig
    gebauschten Bettdecke aneinanderschmiegten. Vanyas Kopf schwamm in einem Tintensee auf Hildreds Brust. Ihr nackter Arm lag in einem trägen Bogen auf Hildreds kurvigem Körper.
    Es war ein starker, massiver Arm, dessen Gewicht wie ein Amboß auf Tony Brings Frau lastete.
    Am Morgen luden sie ihn ein, mit ihnen zu frühstücken. Wie ein Krüppel, der sich den Anweisungen der Krankenschwester fügt, gehorchte er ihnen. Das Frühstück war eine einzige Qual.
    Er hatte das Gefühl, ihnen im Weg zu sein. Die Welt war nicht groß genug für sie drei. Auf dem Weg zur U-Bahn sprachen sie aufgeregt über eine Menge Dinge, die gar nichts miteinander zu tun hatten. Sie taten, als wären sie ruhig und gelassen; sie redeten, ohne etwas zu sagen, sie hörten einander zu, ohne etwas zu verstehen.
    In der U-Bahn gewann Hildred ihre Selbstsicherheit zurück.
    Sie sah sich mit offener Überheblichkeit um, erhob verächtlich die Stimme und sprach laut Dinge aus, die man gewöhnlich nur flüstert, vorausgesetzt, man besitzt die Kühnheit, sie überhaupt in der Öffentlichkeit zu erwähnen. Mit
    vernichtendem Blick pickte sie ein Gesicht heraus und
    analysierte die Verderbtheit oder Heuchelei, die sie darin entdeckte; vor allem ältere Frauen, auf deren Gesichtern sich Mitleid und Entsetzen mischten, bedachte sie mit einem frechen Lachen und einem bösartigen Blick, der die Opfer zurückzucken ließ. Vanya umgab sich mit der Würde einer lächerlichen Statue.
    Als sie aus dem U-Bahnhof auf die Straße traten, trafen sie auf Willie Hyslop und seine Freundinnen. Tony Bring
    versuchte, ihnen auszuweichen, aber Vanya packte ihn am Arm und stellte ihn umständlich vor. Er fühlte sich wie ein Agnostiker, der die Letzte Ölung erhält.
    Er hörte aufmerksam zu, als die beiden Frauen namens Toots und Ebba von ihren Abenteuern erzählten. Sie hatten etwas Waches, Borstiges, wie zwei witternde Airedale-Terrier. Ihre Brustwarzen zeichneten sich wie Fisteln unter den Baumwoll-Pullovern ab.
    Am Eingang des »Caravan« nahm er Hildred beiseite und
    sprach leise mit ihr. Sie wirkte etwas verstört.
    »Warum hast du das getan?« fragte er sie. »Mehr will ich gar nicht wissen. Kannst du mir das vielleicht mal sagen?«
    Hildred sah Vanya aus dem Augenwinkel an. Sie erklärte ihm halbherzig, daß es peinlich gewesen wäre, wenn sie im Beisein einer anderen Frau zu ihm ins Bett gekommen wäre. Da platzte ihm der Kragen. »Diese Schnepfe nennst du eine Frau?« sagte er heiser. Ihr Gesicht wurde dunkel. Sie wurde laut. Schließlich begann sie ihn zu beschimpfen. Ein schmerzlicher Ausdruck trat in seine Augen. Er hatte Mitleid mit ihr, mit sich selbst, mit allen Menschen auf der Welt, die leiden mußten, wo es doch so unnötig war zu leiden.
    Plötzlich nahm sie verstohlen seine Hand. »Können wir nicht später darüber sprechen?« bat sie. Sie sagte es so sanft, als kniete sie vor ihm auf dem Boden.
    Er dachte einen Augenblick lang nach. Er wollte in dieser Sache anständig und fair sein. Vielleicht war es ja wirklich so, wie sie gesagt hatte: Vielleicht machte er wirklich aus einer Mücke einen Elefanten. Zum Teufel, er wußte tatsächlich nicht mehr so genau, was er eigentlich tat.
    Die anderen sahen jetzt zu ihnen her. Hildred machte ihre Hand frei.
    »Na gut«, sagte er, »sprechen wir später darüber.

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