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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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eines Versandhauskatalogs zu füllen. Er legte einige Sachen beiseite, die er seiner Familie mitbringen wollte. Seine Mutter hatte schon immer Hildreds Strümpfe bewundert; es machte nichts, daß die Größe nicht ganz stimmte – sie waren teuer, und das war es, worauf es ankam. Für seinen Vater suchte er eine Stange »Camel« aus und für seine Schwester ein Maniküre-Set, das sie zwar vermutlich nie benutzen, für das sie ihm aber trotzdem dankbar sein würde. Für diese Kleinigkeiten, die er aus dem Haufen herauszog, würde er den überschwenglichen Dank seiner Eltern ernten. Seine Mutter würde ihm sicher zuflüstern, daß sie sich in zu große Unkosten gestürzt hatten.
     Es war Mittag, als die drei, beladen mit Geschenken, auf die Straße traten. Hildred war etwas konventioneller als gewöhnlich gekleidet, Vanya dagegen war aufgemacht wie sonst: nackte Knie, schwarze Bluse, loses, wirres Haar, usw. Als sie sich auf den Weg machten, begannen die Glocken zu läuten. Ein Stück weit die Straße hinunter, vor einer häßlichen lutheranischen Kirche, der man vor den Feiertagen einen neuen, senfgelben Anstrich gegeben hatte, stand eine Gruppe von Gottesdienstbesuchern, die gerade aufbrachen, um ihr schweres lutheranisches Festmahl einzunehmen. Ihre Augen blitzten zornig, als sie das unpassende Trio sahen, das an der Ecke stand und einen hitzigen Streit ausfocht.
     Ein Streit am Weihnachtsmorgen? Aber ja. Und zwar nur, weil Hildred nicht wohl dabei war, Vanya allein weggehen zu sehen. »Aber wenn sie sich nun umziehen würde?« sagte Hildred.
     »Es ist schon zu spät. Wir werden uns sowieso ein Taxi nehmen müssen.«
     »Dann komme ich nicht mit.« Und damit ließ Hildred ihre Geschenke fallen.
     »Verdammt nochmal!« rief Tony Bring. »Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen! Was soll ich ihnen denn sagen?«
     Vanya bat sie, wenigstens ein paar Minuten zu warten – sie wolle zurückgehen und sich rasch umziehen.
     Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis die beiden wieder erschienen.
     »Na, wie sehe ich aus?« fragte Vanya.
     »Entsetzlich! Einfach entsetzlich! Wo zum Teufel hast du diesen Hut her?«
     »Aber du wolltest doch, daß ich anständig aussehe, oder etwa nicht?«
     Sie winkten einem Taxi. Einen Block vor ihrem Ziel stiegen sie aus.
     »Bitte bring sie dazu, daß sie halbwegs normal aussieht«, bat er Hildred.
     Hildred kicherte. Sie standen vor einem Beerdigungsinstitut.
     »Das ist kein Witz. Herrgott, sie sieht einfach unmöglich aus.«
     Sie standen vor dem Schaufenster, in dem ein wunderschöner, mit Satin ausgeschlagener Sarg aufgestellt war, und versuchten, aus Vanya eine respektable Erscheinung zu machen. Doch es war zwecklos. »Gib mir den Hut«, sagte er, und als Vanya gehorchte, knüllte er ihn zusammen und warf ihn in den Rinnstein. »So!« sagte er. »Los jetzt! Und macht ein trauriges Gesicht.«
     Seine Mutter öffnete ihnen. Das Lächeln, das sie für sie aufgesetzt hatte, verschwand, als sie Vanya sah. Der alte Herr begrüßte sie herzlich, aber der Blick, den er seinem Sohn zuwarf, sagte: »War es wirklich nötig, uns das ausgerechnet heute zuzumuten?« Auf ihre charakteristische atemlose Art begann Hildred sofort, ihren Schwiegereltern zu erzählen, was für ein Genie ihre Freundin sei, wie reich ihre Eltern seien, wie großartig sie alle miteinander auskämen, und gab noch mehr derlei Geschwätz von sich, das Tony Bring innerlich schaudern ließ. Er versuchte verzweifelt, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber sie schwatzte weiter wie ein kleines Kind, und entweder merkte sie nicht, welchen Eindruck das machte, oder es war ihr gleichgültig. Ein peinlicher Augenblick trat ein, als Tony Brings Schwester vorgestellt wurde. Niemand wußte genau, was Babette fehlte. Sie war nur ein paar Jahre jünger als ihr Bruder, stand aber geistig auf dem Niveau eines achtjährigen Kindes. Außerdem hatte sie ein seltsames Nervenleiden: Ihre Glieder bewegten sich unkontrolliert, und ihr Kopf zuckte, wenn sie sprach, zur Seite und fiel ihr dann auf die Brust. Sie hatte die Angewohnheit, pausenlos zu reden und dabei zusammenhangslos von einem Thema zum anderen zu springen, bis man ihr befahl aufzuhören. So hatte man sie kaum Vanya vorgestellt, als sie auch schon mit einem eingehenden Geplapper über kirchliche Themen begann; sie erzählte mit wundersamer Wortgewandtheit und Geschwindigkeit, wie schön der Chor beim Morgengottesdienst gesungen habe und was der Pfarrer über

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