Verrückte Lust.
Schiffe, wie Schiffe, die zu wurmzerfressen sind, um den ersten Sturm zu überstehen.
Finis.
Nachwort
Es war das Jahr 1927. Henry Millers zweite Frau war soeben mit ihrer Geliebten nach Europa durchgebrannt. Er selbst erholte sich gerade von einer langen Phase der – wie er es nannte – nervlichen Zerrüttung. Er war gedemütigt und mittellos und hatte wieder zu seinen Eltern ziehen müssen, die entsetzt waren, daß ihr sechsunddreißgjähriger Sohn ihren bürgerlichen Erwartungen nicht entsprach. Voller Verzweiflung hatte er das Angebot eines Rivalen aus Jugendzeiten angenommen und einen Bürojob angetreten, der keinerlei Aufstiegschancen bot. Eines Abends jedoch blieb er nach Feierabend an seinem Schreibtisch sitzen und begann unablässig zu tippen. Nach Mitternacht lag ein Stoß von eng beschriebenem Papier – eine Sturzflut von Wörtern – neben der Maschine. Es waren Notizen für das Buch, das zu schreiben ihm, wie er glaubte, bestimmt war: die Geschichte seiner Ehe mit June, ihrer Liebe zu Jean Kronski und seiner tiefen Erniedrigung durch diesen Verrat. Aus diesen Notizen wurde dann Verrückte Lust, Henry Millers dritter Roman und sein sicherster Schritt in Richtung Wendekreis des Krebses, jene literarische Glanzleistung, die einige Jahre später folgen sollte.
Es war nicht der erste schriftstellerische Versuch, den Miller unternahm. Für ihn hatte immer schon festgestanden, daß er Schriftsteller oder etwas ähnlich Herausragendes werden würde. Selbst die Tatsache, daß er einen Tag nach Weihnachten geboren war, war für ihn ein Beweis für seine Besonderheit; er behauptete später, sein Geburtsjahr 1891 sei ein Jahr von außerordentlicher literarischer Bedeutung gewesen.
Miller stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie deutscher Herkunft; sein Vater war Schneider. Als Kind war Henry reifer als seine Altersgenossen, und seine Eltern hegten große Erwartungen für seine Zukunft. In späteren Jahren lehnte er die hergebrachte Form von schulischer Ausbildung jedoch ab und wurde überzeugter Autodidakt. Da die Familie nur über begrenzte Mittel verfügte, kam der Besuch eines Colleges nicht in Frage – bis auf einen kurzen Aufenthalt am City College, das keine Studiengebühren verlangte –, und Henry trat 1913 widerwillig in den väterlichen Betrieb ein. Um diese Zeit unternahm er den ersten Versuch zu schreiben – einen Essay über Nietzsche –, doch wichtiger war das, was er auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause tat; später sagte er, er habe dabei im Kopf dicke Bücher geschrieben, schwere Wälzer über die Geschichte seiner Familie und seiner Kindheit, und tatsächlich finden sich Spuren dieser »Werke« in seinen späteren Büchern Schwarzer Frühling und Wendekreis des Steinbocks.
1917 heiratete er und wurde kurz darauf Vater einer Tochter. Angesichts dieser Verantwortung nahm er eine Stellung an als Personalleiter bei der Western Union, der »Kosmodämonischen Telegraphengesellschaft« seiner späteren Bücher. Er hatte Boten einzustellen und zu entlassen, und die Fluktuation war gewaltig; die Absurdität seines Jobs brachte ihn zur Verzweiflung. 1923 schrieb er während eines dreiwöchigen Urlaubs ein Manuskript von Buchlänge. Sein Chef hatte ihn mit der Bemerkung verärgert, es sei wirklich schade, daß es keine Horatio-Alger-Geschichte (»Vom Schuhputzer zum Millionär«) über einen Telegrammboten gebe. Inspiriert von Theodore Dreisers Tw elve Men, das er sehr bewunderte, schrieb Miller ein Buch, das er später Clipped Wings nannte. Der Titel bezog sich auf das Firmenzeichen der »Western Union«, und das Buch war ein Porträt von zwölf Telegrammboten – Engeln, deren Flügel gestutzt worden waren. Die Fragmente, die von diesem Buch noch erhalten sind, lassen vermuten, daß es eine zähe Übung in Zynismus und Misanthropie war; Miller selbst sagte, er wisse, daß es »von der ersten bis zur letzten Seite falsch« gewesen sei – »unzulänglich, schlecht, entsetzlich«.
Er kehrte zur Western Union zurück – lustlos und deprimiert, weniger denn je überzeugt von seiner Zukunft als Schriftsteller, gefangen in einer Ehe ohne Liebe. Eines Abends lernte er in einem Tanzlokal June Mansfield Smith kennen, die Mona aus Wendekreis des Krebses, die Hildred aus Verrückte Lust, die Mara aus Sexus, Plexus und Nexus, die mythische »Sie«, der Wendekreis des Steinbocks gewidmet ist. June war geheimnisvoll, hatte einen Sinn für das Dramatische und war von bezaubernder Schönheit,
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