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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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mit einigen Fetzen Cockney oder Hebräisch.
    Frauen in vollem Hidschab eilten auf dem Gehweg an ihm vorbei. Manche waren zu dritt oder zu viert unterwegs, andere folgten ihren Ehemännern, die Kinder im Schlepptau. Kleine Jungen in Anzügen und Mädchen mit Rüschenkleidern. Die Neuankömmlinge, dachte Kurtz, während sich die verhüllten Gestalten durch das Meer der Verwestlichten drängten, bengalische Mädchen der zweiten Generation in Hüfthosen und hochhackigen Schuhen und Hindufrauen mit bauchfreien Saris.
    Aus einem Schaufenster leuchteten grelle Bollywood-Filmplakate mit dunkelhäutigen Frauen in lasziven Posen. Nebenan hingen strenge aboyas und Tschadors schief hinter dem Glas. Ein Stück weiter duftete es aus der alten jüdischen Bäckerei nach frischen Bagels, mit denen sich die Taxifahrer und Nachtschwärmer stärkten, die sich spät am Abend ins East End verirrten.
    Selbst in dieser buntgemischten Menge stach Kurtz hervor, seine Gestalt und sein blondes Haar ließen ihn eindeutig fremd erscheinen. Dennoch gab es in der westlichen Welt wenige Orte, an denen er sich derart zu Hause fühlte. Er bewegte sich wie ein Mensch, der sein Ziel genau kannte, überquerte die Hanbury Street und tauchte in einen Hauseingang mit der Aufschrift KENSINGTON COURT.
    Wohl nicht mit dem Kensington in der Cromwell Road zu verwechseln, hatte Peter Janson gescherzt, als Kurtz den Namen des Hotels zum ersten Mal erwähnte. Und er hatte bei sich gedacht, nein, nie und nimmer, Gott sei Dank.
    »Eine Nachricht, Sir.« Der bengalische Besitzer winkte ihm zu, als er in die handtuchgroße Eingangshalle trat. »Ihr Bruder, Sir. Er möchte, dass Sie ihn so bald wie möglich zurückrufen.«
    Kein Hinweis darauf, dass der Mann ihm nicht glaubte, und doch wurde Kurtz unwillkürlich misstrauisch. Seit er vor vier Jahren die CIA verlassen und zu Janson und Morrow gegangen war, hatte er hier ein Zimmer gemietet. Vier Jahre, in denen er zu den eigenartigsten Zeiten kam und ging, in denen er um Mitternacht aufbrach und immer wieder von diesem närrischen Grinsen begrüßt wurde. Als wäre ein bulliger blonder Amerikaner, der in einem Schuppen in der Brick Street Bestattungsbedarf verkauft, die natürlichste Sache der Welt.
    Hallo, Mr Kurtz. Schön, dass Sie wieder da sind, Mr Kurtz – Viel zu tun, Mr Kurtz? So ist das mit den Toten, es gibt jeden Tag mehr von ihnen.
    »Danke, Hamidur.« Kurtz nickte ihm zu und stieg die unglaublich enge Treppe hinauf.
    Der Vertreter für Bestattungsbedarf war ein altes Klischee aus CIA-Zeiten und wunderbar geeignet, um Gespräche in Wartezimmern oder auf langen Flügen im Keim zu ersticken. Als Kurtz zur CIA kam, war es eine Art Witz gewesen, der die neuen Rekruten zum Lachen brachte, aber Kurtz hatte, bevor er seinen ersten Posten antrat, zur Tarnung einen Katalog von Edison Funeral Supply bestellt.
    Schon auf dem Flug vom Dulles International Airport nach Amsterdam hatte er so lange Werbetexte über Einbalsamierungsflüssigkeit und Kindersärge studiert, bis sich die nervöse, schwatzhafte Holländerin neben ihm einen anderen Platz suchte.
    Allerdings hatte der knarzige OSS-Pensionär, der sie in Camp Peary unterrichtete, geflissentlich verschwiegen, dass der Trick an Wirkung verlor, je weiter man nach Osten kam. Hatte man die Grenzen der westlichen Welt überschritten, wurde der Tod weniger außergewöhnlich und sein Zubehör eine bloße Kuriosität. Das hatte Kurtz bald erfahren, sich aber schon viel zu sehr an die Rolle gewöhnt, um sie aufzugeben.
    Er zog die Schuhe aus und stellte sie neben die Tür, schloss auf und betrat das Zimmer. Er fand den Geruch anheimelnd – Staub und billiges Desinfektionsmittel und die winzigen Stückchen Sandelholzseife, die das Zimmermädchen jede Woche nachlegte. Dazu der scharfe Essensgeruch – altes Fett und üppige Gewürze aus der zwei Stockwerke tiefer gelegenen Küche –, der an Wäsche und Vorhängen haftete.
    Auf dem Schreibtisch lagen die neueste Ausgabe des Edison-Katalogs und Kurtz’ schwarze Mustertasche. Auf der Garderobe stand ein kleiner, säuberlich gepackter Koffer. Vier Jahre in diesem Zimmer, doch mehr Persönliches hatte Kurtz nicht mitgebracht. Selbst sein Kulturbeutel war ordentlich verstaut.
    Er setzte sich aufs Bett und griff zum Telefon, wobei er einen Blick auf die Uhr warf. Dann wählte er Jansons Nummer.
    »Ja?«, meldete dieser sich beim zweiten Klingeln.
    »Ich sollte anrufen?«
    »Ja, Sie müssen verreisen.«
    »Haben Sie unseren

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