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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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mir nicht, dass Sie es nicht tun.«
    Colin trank seine Flasche aus. »Soweit ich das beurteilen kann, sind wir schon jetzt nicht besser als die anderen.«
    Sie fürchtete schon, er wolle gehen, und bemerkte erleichtert, dass er dem Barkeeper ein Zeichen gab.
    »Warum sind Sie dann hier?«, wollte sie wissen.
    Er zuckte die Achseln. »Meine Freunde sind hier, mein Team. Wir passen aufeinander auf, mehr nicht. Und Sie? Gott und Vaterland, nehme ich an, Sie haben noch eine Rechnung offen wie Ihre Landsleute da drüben.« Er nickte zu den Marines hinüber.
    »Mein Bruder ist am 11. September gestorben«, sagte Kat.
    »Das tut mir leid«, sagte Colin, der ein wenig rot geworden war.
    Die Bemerkung klang nicht banal, sondern aufrichtig, und Kat bedauerte, dass sie es erwähnt hatte. Es kam ihr wie ein Schlag unter die Gürtellinie vor.
    »Ich habe ihn nicht geliebt«, sagte sie zu ihrer eigenen Überraschung. »Ich habe ihn nicht einmal gemocht.« Zum ersten Mal hatte sie das eingestanden, wollte Ehrlichkeit mit Ehrlichkeit erwidern.

 
Virginia
    Das war genau die Stadt, die Susan sich immer gewünscht hatte, dachte Morrow, als er den Campus auf der Anhöhe und die umliegenden Wohnhäuser betrachtete. Er kannte diese Städte. Grüne Hügel, schmale Straßen, historische Backsteinhäuser, die imposant über gepflegten Rasenflächen aufragten. Kutschfahrten für Wochenendbesucher aus Washington. Kleine Geschäfte an der Hauptstraße, die überteuerte Antiquitäten und nutzlosen Krimskrams verkauften. Der Gestank von Geschichte und Pferdemist.
    Ein Ort, an dem sich alte Spione zur Ruhe setzten. An dem die Ehefrauen endlich zu ihrem Recht kamen, nachdem sie ein Leben lang das Essen wieder aufgewärmt hatten und allein zu Tanzaufführungen und Footballspielen an der Highschool gegangen waren. Auf dem Hinweg hatte Morrow mehrere diskrete Autoaufkleber gesehen, mit denen Leute wie er sich unauffällig als Klubmitglieder outeten. Das erkannten nur Insider.
    Es war früher Nachmittag, doch der Himmel war ganz dunkel, der Horizont schwarzgefleckt von der Faust eines Gewitters, das über das Tal hinwegzog. Auf den grünen Rasenflächen des Campus flohen Leute vor dem Regen; nur die Kadetten des ersten Jahres behielten ihren quälend langsamen Schritt bei.
    Am anderen Ende des Paradeplatzes tauchte eine einsame Gestalt im Grün der Fakultät auf, deren Absätze sich beim Laufen in die weiche Erde bohrten. Ihr Rock schien sie zu behindern.
    »Da kommt Sergeant Caldwell«, verkündete der General höflich und deutete über Morrows Schulter aus dem Fenster.
    Sie war größer, als er erwartet hatte, akkurat wie ein Soldat gekleidet, das braune Haar kurzgeschnitten, die Bügelfalten an den Ärmeln trotz der feuchten Septemberhitze messerscharf. Morrows geschultes Auge verriet ihm, dass diese Gründlichkeit nicht angeboren war. Fünfzehn Jahre beim Militär, und sie bewegte sich noch immer wie ein Mensch, der seine Rolle mühevoll erlernt hatte. Präzision und noch etwas anderes, vielleicht Zorn. Jahrelanger Groll, weil sie sich Dinge hatte erkämpfen müssen, die andere geschenkt bekamen.
    Caldwell, Katherine. Morrow rief sich die Angaben aus der Akte ins Gedächtnis, während er die Frau auf sich zukommen sah. Geburtsdatum: 2. 7. 1971. Geburtsort: Boise, Idaho. Eine Kindheit mit vielen Adressen, Spokane, Billings, Denver, Tucson, Las Vegas. Die verschiedenen Freunde der Mutter. Vater nicht aufzufinden.
    Dann das Reserve Officer Training Corps. Keine Eintrittskarte, sondern ein Fluchtweg, dachte Morrow. In der Highschool war sie höchstens Durchschnitt gewesen, doch die Armee musste vielversprechende Ansätze gesehen haben, immerhin hatte man sie ins Intelligence Corps gesteckt. Dann weiter zum Defense Language Institute in Monterey, wo jemand mehr als nur Ansätze gesehen hatte. Man hatte sie für das Arabischstudium ausersehen, damals einer der kleinsten und schwierigsten Studiengänge. Vielleicht purer Zufall, jemand hatte eine Ahnung gehabt, und es hatte gepasst.
    Die ersten dicken Regentropfen klatschten gegen das Fenster. Die Frau lief die letzten Meter und verschwand unter ihnen im Gebäude.
    »Worin hat sie promoviert?«, erkundigte sich Morrow.
    »Islamische Soteriologie«, antwortete der General. »Die Einzelheiten übersteigen leider mein Fassungsvermögen.«
    Erlösungstheorie, dachte Morrow. Damit hatte er nicht gerechnet. Andererseits ergab die Wahl durchaus einen Sinn.
    »Ich nehme an, Sie wissen über ihren Bruder

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