Verschleppt
herunterprasselten. Anfangs war es nur ein leichtes Plätschern, doch mittlerweile hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Zwischendurch erhellte ein Blitz das Trauerspiel am Himmel, gefolgt von gewaltigen Donnern. Matt schien das gar nicht zu registrieren, er schaute teilnahmslos aus dem Fenster, mit seinen Gedanken völlig woanders. Sara versuchte mehrmals, ein Gespräch anzufangen, aber er hörte ihr gar nicht zu. Sara gab es schließlich auf und schaute auf die Straße. Die einzigen Geräusche waren das Surren der Reifen auf dem nassen Asphalt und das Zischen des Gebläses. Saras Gedanken waren bei Noah und wie es soweit kommen konnte. Sie richtete ein Stoßgebet nach dem nächsten Richtung Gott, obwohl sie seit langem aufgehört hatte, an diesen zu glauben. Aber heute machte sie eine Ausnahme.
Als sie ihr Ziel erreicht hatten, hatte der Regen zwar an Intensität verloren, aber die Tropfen waren noch deutlich zu erkennen. Sie stiegen aus. Sara wollte die Hand von Matt nehmen, doch er zog sie weg und ging zügig ins Gebäude. Sara blieb einen Augenblick stehen, schaute in den Himmel und schloss die Augen. Ihr regenfeuchtes Gesicht fühlte sich schnell an, als trüge sie eine Maske. Sie atmete tief ein und ging schließlich auch durch die schwere Glastür. In der Eingangshalle angekommen, gab Sara als erstes die Zahnbürste von Noah vorne am Zentralempfang ab. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und klebten an ihrer Stirn. Matt wartete auf sie, seine Hände in der Jeanshose vergraben.
Dann gingen sie wortlos in den Warteraum, wenn man diesen als solchen überhaupt bezeichnen konnte. Dort saßen schon die Eltern von Jason, Bryan und die Mutter von Scott. Allesamt sahen sie erschöpft aus, entmutigt. Als würde ihr Leben zu Ende gehen. Für ein Elternpaar würde das in den nächsten Stunden auch traurige Realität werden. Amanda Gore hielt einen Becher Kaffee in der Hand. Als sie Sara erblickte, sah sie die Verzweiflung in ihren Augen. Sara nickte ihr zu. Matt und Sara setzten sich in die gegenüberliegende Reihe. Es war ein kahler Raum. Nur Stühle, weiße Vorhänge, keine Bilder. Es hatte wieder stärker angefangen zu regnen, dicke Tropfen plärrten gegen die Fenster. Das aufdringliche Neonlicht brachte keine Beruhigung, im Gegenteil. Sara konnte keine Sekunde ruhig sitzen. Sie stand auf. „Ich hol mir einen Kaffee. Willst du auch einen?“, sie flüsterte. Matt schüttelte lediglich den Kopf. Er hatte schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt.
Sara ging den Flur auf und ab, in der Hand den Kaffeebecher. Der Kaffee musste mittlerweile kalt sein, getrunken hatte sie keinen Schluck. Mehrere Beamte befanden sich auch auf dem Gang. Sara registrierte diese aber gar nicht, wie ein nervöses Fohlen trat sie immer wieder von einem Fuß auf den anderen. Ihr gingen tausend Gedanken durch den Kopf, aber sie konnte keinen klaren fassen. Du bist noch am Leben. Ich würde doch spüren, wenn es nicht so wäre, oder?! Sara seufzte. Sie überlegte, ob sie noch was tun kann, doch ihre Angst trübte jeden ihrer Gedanken. Sie ging eine Ewigkeit den Flur auf und ab, bis sie sich schließlich hinsetzte und mit einem leeren Blick auf ihren Kaffeebecher starrte. Sie registrierte lediglich die trommelnden Regentropfen auf dem Gebäude und den lauten Verkehr, dröhnend und hupend. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Lilly und Cruz den Flur entlangkamen. Cruz war ganz durchnässt, Lilly trug eine Kapuze. Beide genauso bleich, man konnte ihnen die Strapazen der letzten Tage deutlich ansehen. Cruz nahm Sara in den Arm. „Wo ist Shawn?“, fragte Sara. „Er sucht das Waldstück ab. Er wird den Gedanken nicht los, dass der Junge nicht weit von dem Fundort gefangen gehalten wurde“, antwortete Cruz. Sara seufzte.
Lilly und Sara gingen zurück in den Warteraum. Dort herrschte betretendes Schweigen, niemand sagte etwas. Matt und Sara wechselten nur einen kurzen Blick. Cruz verschwand durch die Tür, die zu den Untersuchungsräumen führte. Die Mutter von Jason war zwischendurch unter Tränen an den Schultern ihres Mannes eingenickt, sie war wie in Trance. Das Ehepaar war äußerst gegensätzlich. Er war knapp 1,90 Meter, massig, mit strohblondem Haar und sanften braunen Augen. Sie war eine zierliche, ja zerbrechliche Person, ihre Lockenpracht hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Im Moment war sie weiß im Gesicht und ihre Lippen waren blass. Die Mutter von Scott, Caroll Walsh, war dagegen eine
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