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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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ein Anfang.
    »Alles wird gut«, flüsterte sie im Dunkeln vor sich hin. Vierunddreißig Jahre ihres Lebens waren vorbei, aber der Rest lag ihr zu Füßen. Sie brauchte bloß den Faden wieder aufzunehmen und in Zukunft etwas vorsichtiger mit ihrem Leben umzuspringen als bisher.
    Sie drehte sich noch einmal um und schob sich das Kissen unter den Kopf. Warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachtschränkchen stand. Halb drei. Der penetrante Parfümgeruch von Renos Freundin hatte sich immer noch nicht verzogen. Den Geruch von Sil nahm sie nicht mehr wahr. Vielleicht hatte sie ihn sich auch nur eingebildet.
    Abrupt setzte sie sich auf, schlug die Decke zur Seite, stellte die Füße auf die Dielen und fing an, Kopfkissen und Decke abzuziehen. Trug das Bettzeug ins Bad und warf es vor der Waschmaschine auf den Boden.
    Erschöpft rieb sie sich das Gesicht und ging in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Earl Grey mit einem Schuss Milch und zwei Stück Würfelzucker. Während sie den Tee mit einem Löffel umrührte, ging sie zurück ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Das Licht ließ sie aus, sodass sie von grobkörnigen Schatten in allen möglichen Grauschattierungen umgeben war.
    Sie musste jetzt wirklich so schnell wie möglich einschlafen, dachte sie, und das Räderwerk der Gedanken zum Stillstand bringen. Sie konnte es sich nicht erlauben, den morgigen Auftrag zu verpatzen, weil sie zu spät kam oder weil sie zu müde war.
    Vielleicht hätte ich doch etwas von Sils Geld annehmen sollen, schoss es ihr durch den Kopf. Nur von dem, was er mit dem Verkauf seiner Softwarefirma verdient hat. Von dem anderen nicht. Von den Hunderttausenden, die in Reisetaschen unter ihrem Schrank und über das ganze Land verstreut in Banktresoren gelagert waren, hätte sie nichts haben wollen. Unzählige Geldscheine, an denen das Blut ihrer ehemaligen Besitzer klebte.
    Wie hatte sie das je akzeptieren können? Wie hatte sie Sil Maier als Ganzen annehmen können, ja sogar mit Freuden, ihm Einlass in ihr Herz gewähren, obwohl sie doch gewusst hatte, dass dieses kraftvolle, stille Gesicht mit den tiefblauen Augen noch eine andere, verborgene Seite hatte, eine pechschwarze Seite? Wie war es möglich, dass von allen Männern, die sie je getroffen hatte, allein dieser bis in ihr Innerstes vorgedrungen war, sie wortlos verstanden hatte? Sie waren einander so tief verbunden gewesen, dass sie sich für ihn in die Schusslinie geworfen hätte — und er sich für sie.
    Mit dem Becher in den Händen ging sie zu den vom Luftzug aufschlagenden Türen und lehnte sich mit der Schulter an den Pfosten. Sie ließ den Blick schweifen: über die Hintergärten, die alten Mauern, die Flachdächer mit Feuertreppen und noch darüber hinaus, über die Dächer und Kirchtürme in den dunkelblauen Himmel hinein, an dem der Halbmond stand und die Stadt mit seinem sanften, bläulichen Licht zudeckte. Sie liebte die nächtliche Stadt. Still war es um diese Zeit, aber nie vollkommen still. Immer waren noch Autos unterwegs, oder man hörte irgendwelche Leute lallend die Kneipe verlassen. Es gab immer Leben.
    In dieser Nacht war es extrem ruhig. Zweige wiegten sich im Wind und warfen dunkle, launische Schatten auf die alten Stadtmauern. Es erinnerte sie an die zugleich mysteriösen und beruhigenden Schattenspiele mit Wayangpuppen. Sie trank einen Schluck Tee und presste die Stirn an die Scheibe. Die fühlte sich kalt und hart an.
    Unten bewegte sich etwas. Ein Schatten, der ein kleines bisschen dunkler schien als die anderen. Nicht unregelmäßig und gefleckt aussah, sondern massiv. Ein schemenhafter Umriss von der Größe eines Menschen, reglos im Wind.
    Sie konzentrierte sich auf die Stelle, wo sie den Schatten gesehen hatte.
    Er war verschwunden. Urplötzlich.
    War dort wirklich etwas gewesen?
    Minutenlang schaute sie reglos hinunter. Rührte sich nicht vom Fleck, hielt die Luft an. Nichts. Gar nichts.
    »Das also hast du aus mir gemacht, Sil Maier«, murmelte sie leise. »Ich bin schon genauso scheißparanoid geworden wie du.«

4
     
    Hasenbergl, im Norden von München. Ein flaches Stück Land mit raschelnden Bäumen, Spielplätzen, plattgetretenem Gras und zahllosen in der Landschaft verstreuten Wohnbunkern aus Beton. Vier bis fünf Stockwerke hoch, teils weiß, teils grau, meistens aber grau, dazwischen ein paar Einkaufszentren, die schlecht in Schuss waren, und kleinere Märkte, wo Händler aus dem Kofferraum ihrer Wagen heraus Kleidung verkauften. In

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