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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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Auffällig viele stammten aus der Speznas, einer russischen Elitetruppe, die sowohl in der Armee als auch bei der Polizei und beim Sicherheitsdienst eingesetzt wurde.
    Derzeit lag kein Auftrag an. Er hatte Kopf und Hände frei.
    Auf diesen Augenblick hatte er hingelebt, dreihundertneunundsechzig Tage lang. Er hatte trainiert bis zum Umfallen, war gerannt, geklettert, hatte seine Reflexe geschult und sein Magazin wieder und wieder leergeschossen, bis er Prellungen an der Schulter und Schwielen an den Händen bekommen hatte. Auf die schwarze Pappsilhouette eines menschlichen Körpers oder die verbeulten, mit Steinen beschwerten Blechdosen hatte er immer wieder dasselbe Bild projiziert, dieselbe Visage mit ihrem Scheißgrinsen, und bei jedem Treffer hatte er sich das Aufplatzen des Schädels vorgestellt: Bamm bamm. Bamm bamm .
    Wadim war in absoluter Topform. Seine Wunden waren verheilt, seine Muskeln hart wie Mahagoniholz, seine Wangen eingefallen, so viel hatte er trainiert.
    Aber innerlich war er kaputt. Zerrissen. Unvollständig. Tag und Nacht spürte er diesen unerträglichen Schmerz, permanent, als hätte eine riesige Hand ihm das Herz aus dem Leib gerissen, ihm alle Knochen im Leib zertrümmert. Als wäre ein Teil seiner Seele abgestorben.
    Nur eines hatte ihn bisher davon abgehalten, sich ein 9-Millimeter-Geschoss in die Schläfe zu jagen und diesem unerträglichen Zustand ein Ende zu bereiten. Ein unbedingter Wille: Vergeltung.
    Jeder Schritt, den er machte, jeder Atemzug, der seine Lungen füllte – was immer er seither tat, tat er für Juri. Er hatte eine Mission, die erst erfüllt wäre, wenn Sil Maier ihm zu Füßen läge, aufgeschlitzt, krepierend, sich in Krämpfen windend. Wenn er darum bettelte, am Leben zu bleiben, und Schonung für seine Nächsten erflehte.
    Wadim würde die offenen Wunden Maiers bepissen, er würde ihm alle zweihundertundsechs Knochen und Knöchelchen in seinem Körper zertreten, einen nach dem anderen, ein um das andere Mal, und er würde tanzen in seinem Blut.
    Für Juri.
    Nachträglich.

6
     
    Die Klingel funktionierte nicht. Maier drückte ein paar Mal nacheinander auf den schwergängigen Knopf aus Bakelit, aber von drinnen war keinerlei Laut zu vernehmen. Er klopfte an die Holztür, zwar vernehmlich, aber verhalten genug, um den Bewohner nicht abzuschrecken.
    Die Tür wurde quasi sofort geöffnet, allerdings mit vorgezogener Sicherheitskette. Durch den Spalt konnte er in den Flur blicken. Braune Fußbodenleisten, eine unruhige, in beige und grau gehaltene Tapete. Am Ende dieses Flurs lag das quadratische Wohnzimmer, und er konnte sich auch noch an die beiden kleineren Räume erinnern. Und wo das Bad mit der Dusche lag. Der Balkon mit den Wäscheleinen. In dieser Wohnung hätte er sich blind zurechtgefunden.
    Für die Bewohnerin – Lockenwickler aus Metall im grauen, feuchten Haar, argwöhnischer Blick – war er dennoch ein Fremder.
    »Entschuldigung«, sagte er und nickte seinem Gegenüber möglichst freundlich zu. »Ich suche Frau – Janny.« An den Nachnamen der älteren Nachbarin konnte er sich nicht erinnern.
    »Die wohnt hier nicht mehr.«
    »Wissen Sie vielleicht, wo sie hingezogen ist?«
    Ein älterer Mann kam dazu. Graue Hose, weißes Hemd. Einer der Zipfel hing ihm lose über dem apfelrunden Bauch. »Wer will das wissen?«, fragte er in scharfem Tonfall.
    »Maier. Silvester Maier.« Er deutete mit dem Kopf auf seine frühere Wohnungstür. »Ich bin hier nebenan zur Welt gekommen.«
    Durch den schmalen Türspalt starrten zwei Augenpaare ihn an. Ob sie ihm glaubten, war schwer zu sagen.
    »Nordfriedhof«, sagte der Mann schließlich. »Da finden Sie sie.«
    »Nordfriedhof?«
    »Janny Wittelsbach ist tot«, erklärte der Mann. »Krebs.«
    »Wann ist sie denn gestorben?«
    »Vor sechs Jahren. Es kommt immer noch Post für sie an. Man kann bei diesen Firmen x-mal anrufen, wenn man in deren Adresskartei einmal drinsteckt, kommt man nicht mehr heraus.«
    »Kannten Sie meine Mutter noch?«
    »Ihre Mutter?«
    »Maria Maier.« Herrgott. Wann hatte er diesen Namen zum letzten Mal laut ausgesprochen?
    Der Mann stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme. Machte keine Anstalten, die Tür weiter zu öffnen. »Maier … Maier … Warten Sie. Maier mit ›i‹?«
    Maier nickte.
    »Die hat allein gewohnt, oder? Mit einem kleinen Sohn.«
    »Genau. Kannten Sie sie?«
    »Nur so vom Sehen«, reagierte der Mann. »Wir wohnten damals noch im

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