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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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an, leise vor sich hin zu singen. »Jolanda … Jo-lan-da, Jolanda …«
    »Genau darüber wollte ich gerade mit dir reden«, sagte sie in scharfem Tonfall. »Ich hab nichts dagegen, dass du hier übernachtest, aber dass du alle möglichen Leute mit herschleppst, finde ich eher nicht so prickelnd.« Oder dass du mein Bett für deine Leibesübungen missbrauchst , fügte sie in Gedanken hinzu.
    »Sorry. Ich wusste nicht mal, dass …« Er kratzte sich an der Schläfe. »Ich weiß nicht mal mehr genau, was …«
    »Egal«, unterbrach sie ihn, nun schon etwas weniger giftig. »Ich will mich auch nicht anstellen, aber … naja, du weißt schon, was ich meine.«
    Er trank ein paar große Schlucke von seinem Kaffee und schaute sie schuldbewusst an. »Okay, San. Sorry.«
    Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Morgen würde er das schon wieder vergessen haben.
     
    Es war elf Uhr abends. Reno hatte sich einen Schlafplatz bei einem Bekannten aus der Szene organisiert.
    Susan zog den Reißverschluss ihres Rucksacks auf und stopfte die Wäsche in die Maschine. Sie schloss die Klappe, goss etwas Waschmittel ins Fach und drehte am Knopf. Während die Maschine geräuschvoll Wasser einzuschlürfen begann, ließ Susan ihren Blick durch das kleine Badezimmer wandern.
    In den letzten zwei Wochen in den Vereinigten Staaten war sie zur Genüge abgelenkt gewesen, um nicht daran denken zu müssen. Jetzt, wieder allein, konfrontiert mit der Leere in ihrer Wohnung, gab es kein Ausweichen mehr.
    Ich vermisse ihn.
    Er wolle mit sich selbst ins Reine kommen, hatte Sil gesagt. Sie bedeute ihm viel zu viel, als dass er es fertigbrächte, sie zu einem Leben zu verurteilen, wie er es führte. Er sei sich ganz sicher. Sie könne dagegen vorbringen, was sie wolle, er habe seine Entscheidung getroffen. Das alles hatte er ihr gesagt, während sie zusammen auf dem Stadtwall gesessen und die grasenden Kühe in der Polderlandschaft angestarrt hatten. Dabei hatte er ihre Hände in den seinen fast zerdrückt. Sie hatte in seine Augen geschaut, den gepeinigten Blick darin gesehen, und wie er mit widersprüchlichen Gefühlen rang.
    Sie kannte ihn so gut. Sie brauchte keine Worte, um zu begreifen, was in ihm vorging.
    Er selbst kannte sich weniger gut.
    Die Unruhe, die in ihm wütete, der krankhafte Drang, sich Kicks zu verschaffen, sei stärker als er selbst, hatte er gesagt. Er wisse noch nicht genau, ob er daran etwas ändern könne, ja — ob er wirklich etwas daran ändern wolle.
    Susan hatte das deutliche Gefühl gehabt, dass dieser Abschied ein endgültiger war. Dass diese Getriebenheit letztlich immer die Oberhand gewinnen würde. Über alles, auch über seine Zuneigung zu ihr, über ihre Liebe. Auch wenn die das Beste war, was ihnen beiden je zugestoßen war.
    Sie ging ins Wohnzimmer, stellte das schmutzige Geschirr in die Spüle und zog die Vorhänge zu. Sie verriegelte die Wohnungstür und ging dann ins Bett.
    Das Bettzeug stank nach Schweiß, Bier und billigem Parfüm, aber sie war zu schlapp, um das Bett frisch zu beziehen. Als sie ihr Gesicht ins Kissen grub, war ihr, als hätte sie in dem süßlichen Parfümdunst kurz einen Hauch von Sils Körpergeruch aufgefangen.
     

2
     
    München. Hauptstadt von Bayern, Bierhauptstadt der Welt. Berühmt für seine Gastfreundlichkeit, die reichhaltige Küche und alten Traditionen, denen die Zeit offenbar nichts anhaben konnte. Außerdem war diese Stadt die Wiege des Nationalsozialismus. Diese bemerkenswerte Kombination zog das ganze Jahr über massenhaft Touristen aus aller Welt in Deutschlands tiefen Süden.
    Sil Maier las all dies in einer englischsprachigen Faltbroschüre, die er am Morgen auf dem völlig überlaufenen Marienplatz, gegenüber vom Rathaus, von einem Fremdenführer in die Hand gedrückt bekommen hatte.
    Es war ein komisches Gefühl, in der eigenen Geburtsstadt als Tourist betrachtet zu werden.
    Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und blätterte die Broschüre durch. In dem proppevollen »Weißen Bräuhaus« waren die Gäste an den anderen Tischen im Laufe des Abends immer lauter geworden. Die erregten Stimmen der mit Reisebussen angekarrten Briten und Italiener hallten laut nach in den großzügigen Räumlichkeiten mit weißer Stuckdecke und Holzmobiliar. Auch ein paar Einheimische hatten sich unter die Besucher gemischt, Männer in bayerischen Trachten, die in einem Wahnsinnstempo Halblitergläser Bier hinunterkippten.
    Es wurde eine » Third-Reich-Tour« angeboten, las er.

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