Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
kreischt.
Hadé hat
sie getötet.
Panisch
vor Angst wirft sie die Mordwaffe ins Unterholz und prescht davon. Den Weg zurück,
den sie gekommen ist. Sie flieht vor sich selbst, vor ihrer Tat, alles dreht sich
um sie, der Wald beginnt zu leben, die Bäume um sie herum zu tanzen. Der Wind, der
am Abend aufgefrischt ist und durch die kahlen Wipfel fegt, ruft ihren Namen. Mörderin,
ruft er, schreit er, brüllt er.
Sie hält
sich die Ohren zu und stolpert durch das Unterholz, Zweige peitschen ihr ins Gesicht,
Dornengestrüpp zerkratzt ihr die Hände, sie steigt auf die Baumklötze, klettert
irgendwie über den Zaun, rennt, stolpert, fällt, rennt weiter, schneller, immer
schneller, hastig geht ihr Atem, die Lungen brennen, die nass geweinten Augen auch.
Sie hat ihr Ziel aus den Augen verloren – Doudou bleibt bei der toten Frau zurück.
Sie sieht
den alten, zerlumpten Mann nicht, der sie durch das dichte Gestrüpp beobachtet hat.
Der Nebel
verhindert, dass er sie erkennt.
74
»Du gehst nicht zur Polizei?«, fragte
Hadé, als sie geendet hatte.
Linda schüttelte
den Kopf.
»Davon wissen
nur du und ich. Es ist zwar nicht richtig, aber ich werde dich nicht verraten. Es
kann nicht sein, dass du ins Gefängnis kommst, und die wahren Täter wie Reiter,
Zoto, Bego und Madame kommen ungeschoren davon.«
Hadé nahm
Lindas Hand und drückte sie dankbar.
»Wie viel
Geld brauchst du, um in Nigeria ein kleines Geschäft zu eröffnen? Eine Boutique?«,
fragte Linda. »Reichen 3000 Euro?«
»Das ein
Vermögen in meinem Land.«
»Dann werde
ich dir dieses Geld geben. Ich will, dass du es nimmst und etwas aus deinem Leben
machst.«
»Aber wenn
ich nicht zurückzahlen kann?«
»Dann werde
ich 3000 Euro weniger besitzen, wenn ich sterbe«, sagte Linda und spürte, dass ihr
Handy vibrierte.
Ulla hatte Alans Handy genommen
und erneut die Nummer Lindas aufgerufen.
Hastig hatten
ihre Finger eine Kurzmitteilung getippt.
Als Linda
Roloff Sekunden später die wenigen Worte las, wurde ihr schwarz vor Augen.
»Du besuchst
mich in meiner Heimat?«, fragte Hadé und holte sie aus ihren Gedanken.
Linda sah
sie irritiert an.
»Du siehst
dann, was ich mit deinem Geld mache, versprichst du mir?«
Linda nickte
verstört.
»Ja«, sagte
sie. »Ich muss dringend nach Afrika.«
Die drei
Worte auf dem Display ihres Handys verschwammen vor ihren Augen, als sie die kurze
Botschaft noch einmal las.
Epilog
Das Verfahren gegen den Kieswerkbetreiber
Horst Reiter wegen illegalem Schrotthandel nach Afrika wurde aus Mangel an Beweisen
eingestellt. Sein Anwalt konnte dem Gericht glaubhaft versichern, dass es sich bei
den ausgeführten Computern ausschließlich um funktionstüchtige gebrauchte Geräte
handelte, die für Schulen und Wildhüterstationen in Nigeria und Ghana gedacht waren.
Die Verhandlung gegen Madame und
ihre Mitarbeiter endete nach Kosten sparendem Prozessverlauf – da die Opfer sich
weigerten, vor Gericht auszusagen – mit einer Bewährungsstrafe der Angeklagten.
Eine Beteiligung
an Menschenhandel und Zwangsprostitution konnte ihnen nicht nachgewiesen werden,
die Prostituierten zeigten während der Gerichtsverhandlung erstaunliche Solidarität
mit Madame und ihrem Helfer Bego.
Das Bordell in Stuttgart ist nach
wie vor in Betrieb.
Der Mordverdacht gegen Jakob Eberle
wurde fallengelassen.
Der Kieswerkbetreiber
Horst Reiter, auf dessen Grundstück die Tat begangen worden war, hatte für die Tatzeit
ein Alibi.
Der Hauptverdächtige,
Agim Zoto, konnte sich einer Festnahme durch Flucht ins Ausland entziehen. Er lebt
heute in einer Villa in einem Dorf in Bosnien und betreibt ein gut gehendes Restaurant
mit Tanzbar. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.
Die SOKO Rotwein wurde aufgelöst,
ihr Leiter, Erster Kriminalhauptkommissar Jens Bosch von der Kriminalpolizeiaußenstelle
Singen zum Landeskriminalamt nach Stuttgart versetzt.
Von Doudou fehlt bis heute jede
Spur. Vermutlich wurde sie unter falschem Namen innerhalb Europas weitergeschleust
und arbeitet bis zur Abzahlung der von Mahama geforderten Summe als Zwangsprostituierte
in Belgien oder den Niederlanden.
Ihre Mutter Hadé wurde in ihre Heimat
Nigeria abgeschoben. Das Angebot, sich einen Rechtsanwalt zu nehmen und gegen Reiter,
Zoto und die Madame vor Gericht auszusagen, lehnte sie aus Angst um ihre Tochter
ab. Sie lebt aus Furcht vor Mahamas Rache unter fremdem Namen in einer Stadt namens
Abeokuta nördlich von Lagos. Dort
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