Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
Lichtkegel der LKW-Scheinwerfer
und schlich sich von hinten an den Mann heran, dessen Finger die Richtung und Intensität
des Steinregens von einem Armaturenbrett aus zu steuern schienen.
Ihr Fuß
stieß an eine Schaufel, die achtlos liegen gelassen worden war. Sie ergriff den
Stiel, wuchtete die Schaufel über ihre rechte Schulter, und mit der ganzen Kraft
ihrer Arme, ihrem aufgestauten Hass und ihrer unbändigen Wut ließ Hadé das Schaufelblatt
auf den Hinterkopf des Mannes krachen.
Endlich
fühlte sie die Erfüllung der Rache für jahrelange Unterdrückung und Qual.
Agim Zoto
ging mit einem kurzen Aufschrei zu Boden und blieb regungslos liegen. Hadé verharrte
keuchend.
Hatte sie
ihm das Genick gebrochen?
Wenn schon!
Er hatte es nicht anders verdient.
Verzweifelt
versuchte sie, die Förderbandanlage anzuhalten. Doch welchen Knopf sie an dem blinkenden
unübersichtlichen Terminal, das zuvor Zoto bedient hatte, auch drückte – nichts
geschah. Endlos ratternd ergossen sich die Kiesmassen auf den Container.
Hadé wusste,
dass Eile geboten war. Da sah sie an der Seite des Terminals einen Schlüssel stecken.
Die Beschriftung im Feld darüber konnte sie in der Dunkelheit nicht erkennen. Mutig
drehte sie ihn nach hinten – das Rattern des Förderbands hörte auf, die Maschine
stand still, der Steinregen stoppte.
Rasch umrundete
sie den Container bis zu seiner Längsseite, wo gerade noch mehr als zwei Drittel
der Tür zu erkennen waren. Sie polterte mit ihren Fäusten dagegen, um Linda die
nahende Hilfe zu signalisieren. Rhythmisches Klopfen antwortete von innen.
Aus physikalischen
Gründen war der Kies von oben zunächst über die Längsseiten des Containers gerutscht,
an den beiden Schmalseiten lag er gerade mal knietief. Hadé machte sich mit der
Schaufel daran, den Kies wegzuschieben, um die Tür frei zu bekommen. Ihre Bewegungen
erlahmten schnell, da der Kies schwer war, doch Hadé schaufelte ohne Pause.
Als die
Tür frei gelegt war, eilte sie zu Zoto, der immer noch regungslos am Boden lag.
Sie suchte in seinen Taschen nach dem Schlüsselbund, stand rasch wieder an der Tür
und hatte innerhalb einer Minute das Sicherheitsschloss geöffnet.
Sie schob
den schweren Riegel nach oben, zog die Tür nach außen und trat einen Schritt zurück.
Er hatte gerade Apapa erreicht,
als der Funkspruch kam.
Das Rauschen
und Krächzen verschluckte die einzelnen Worte, doch Jonny Cash hatte den Kern der
Botschaft verstanden. Einer der Taxifahrer hatte am Straßenrand der Lagos Badagry
Road stadtauswärts eine Leiche entdeckt, auf die seine Beschreibung passte.
Johnny Cash
fragte noch einmal nach, um die Position sicher zu haben, und kehrte um.
Die Lagos
Badagry Road führte stadtauswärts nach Westen Richtung Benin und war an diesem Abend
ebenso stark befahren wie alle anderen Straßen. Doch der Verkehr rollte hier zügig,
und das Taxi kam rasch voran.
Als er die
Gegend erreichte, die ihm der Kollege genannt hatte, kurbelte er das Fenster auf
der Beifahrerseite herunter, um den Straßenrand besser erkennen zu können und nahm
den Fuß vom Gas. Der nach ihm fahrende Truck hupte, doch das war Cash egal. Er fuhr
mit zwei Rädern auf den schmalen Seitenstreifen, der Lastwagen überholte und hüllte
das Taxi in eine dichte Staubwolke ein.
Nachdem
sich der Dunst lichtete, erfassten seine Scheinwerfer eine Gestalt, die in einiger
Entfernung am Boden lag. Regungslos. Oder waren es nur achtlos weggeworfene Kleidungsstücke?
Langsam fuhr das Taxi näher.
Johnny Cash
erkannte das khakifarbene Hemd. Doch er war sich nicht sicher. Dann sah er die Mütze.
Der Mann,
der dort lag, war Alan Scott!
»Scheiße!«,
schrie Johnny, hielt trotz des vorbeirauschenden Verkehrs an und ignorierte das
Hupen der LKWs, die dem mit einer Hälfte auf der Fahrbahn stehenden Taxi auswichen.
Rasch stieg er aus und noch während er auf den leblosen Körper zueilte, rief er
die weiße Frau an, die im Hafen von Tin Can auf ihn wartete.
»Ich habe
ihn! Melde mich gleich wieder!«, war alles, was er sagte.
Sekunden
später tasteten seine Finger am Hals des Weißen nach dem Puls.
Linda hörte nur, wie das Prasseln
allmählich leiser wurde. Das liegt sicher an der mächtigeren Kiesschicht auf dem
Dach, die das Geräusch dämpft, dachte sie.
Im Container
war es stockfinster geworden, seit der Kieshaufen über das Fenster geklettert war,
und Linda hatte verzweifelt im Dunkeln nach einem Ausweg gesucht.
Jetzt hörte
sie über den
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