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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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sie schwarze Schatten von Bäumen, die mit hängenden
Ästen wie trauernde Pfähle in den Himmel ragten, düster und bedrohlich wie die Wolken,
sah die vom Wind bewegten Zweige, hörte aber nicht die raschelnden Blätter und die
seltsamen Vogelstimmen, die sie nur einmal wahrgenommen hatte, als die Tür für kurze
Zeit offen geblieben war, krächzende Stimmen, die riefen, als würden sie die Menschen
in ihrem Verlies verspotten.
    Kein Geräusch
drang bei geschlossener Tür von außen herein, und sie wusste, dass auch die Laute
der Menschen in dieser Düsternis, selbst ihr Schreien und Klagen, nur als Echo in
den kalten Wänden ihres Gefängnisses verhallten, und nicht ein Ton nach draußen
drang.
    Ihre Tränen
hatten helle salzige Spuren auf ihrer fast schwarzen Haut hinterlassen, als Madames
Männer ihr die große Schwester Sema aus den Armen gerissen, und sie – vor Angst
schreiend und die Arme Hilfe suchend nach ihr ausgestreckt – aus dem Container gezerrt
hatten.
    Die anderen
hatten den Kopf geschüttelt und ihr durch Gesten und Worte zu verstehen gegeben,
dass ihre Schwester nicht zurückkommen würde. Doch sie hatte auf Sema gewartet,
den ganzen Abend, die Nacht hindurch, den nächsten Morgen und wieder den ganzen
Tag. Und eine weitere Nacht und einen weiteren Tag. Und während ihre Tränen zu salzigen
Rinnsalen trockneten, die sich wie helle Schatten auf der dunklen Haut ausnahmen,
vergingen weitere Nächte und Tage, und sie wurde sich darüber im Klaren, dass sie
ihre Schwester nie wieder sehen würde, dass die anderen recht hatten.
    Also waren
sie wahr, die Geschichten, die ihr die anderen auf der Reise erzählt hatten. Geschichten,
die schaurig klangen wie die düsteren Märchen ihrer Heimat, grausam und beängstigend,
und doch so unwahrscheinlich, dass sie kein Wort davon geglaubt hatte.
    »Ihr werdet
eure Freiheit bezahlen müssen«, hatten die Männer erzählt, als sie auf dem Weg vom
Meer hierher – eng zusammengepfercht wie die Ziegen auf den Transport zum Markt
– über 20 Menschen zählten.
    »Wir alle
werden unsere Freiheit für viel Geld kaufen müssen, aber ihr werdet zahlen für uns!
Ihr Frauen bezahlt für eure Männer und Kinder, für eure Brüder und Söhne!«
    Geglaubt
hatte sie es nicht. Sie war von zu Hause aufgebrochen, weil man ihr das Paradies
versprochen hatte, im Land ihrer Träume. Sie hatte auf dem langen Weg durch die
Wüste gelitten und alle Qualen und Erniedrigungen über sich ergehen lassen, um dieses
Land zu erreichen, hatte in dem kleinen Boot gekauert, den Tod des Ertrinkens vor
Augen und hatte, zusammengepfercht mit den anderen in diesem Versteck auf ihre Freiheit
gewartet.
    Versprochen
hatte man ihr Arbeit – vielleicht als Kindermädchen – einen Platz zum Leben, eine
Wohnung für sie und ihre Familie, die nachkommen würde, sobald sie alles geregelt
hätte, dort in dem Paradies, das man Europa nannte.
    So war sie
voll Zuversicht aufgebrochen, hatte die Schrecken Afrikas verlassen, um die Verheißungen
Europas zu erlangen, und war dort in der Hölle gelandet.
    Während
das Versteck leerer geworden war von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, weil die Frauen
ihren Leib zum Opfer brachten für die Freiheit ihrer Familien, waren die Zweifel
gekommen. Sie hatte gehört von Madame, die ihren Pass in Verwahrung genommen hatte,
von ihren Helfern, den Trolleys, die sie auf dem Weg durch die Wüste begleitet hatten
und sie auch jetzt begleiten würden.
    Und wie
die anderen wartete auch sie auf ihre Stunde. Als sie kam, war der Morgen kalt und
klar, die düsteren Wolken hatten sich verzogen, doch die Sonne war noch nicht aufgegangen.
Madames Männer, die immer kamen, um eine von ihnen oder auch einen der Knaben abzuholen,
öffneten die Tür des Containers, einer mit schwarzem Bart zeigte auf sie, zu zweit
zerrten sie an ihren Armen, bis sie aufstand, klamm von der kalten Nacht, blind
von der Dunkelheit, die auch der kleine Fensterschacht nicht besiegen konnte, und
zitternd vor Angst vor dem Unbekannten, das sie erwartete.
     
    Zwei Jahre waren seit diesem
kalten Morgen vergangen. Von Sema hatte sie nie wieder etwas gehört. Sie selbst
war inzwischen frei geworden. Freigekauft durch das Feilbieten ihres Körpers.
    Als sie
die letzten 500 Euro bezahlt hatte, um wieder selbst über sich und ihren Körper
bestimmen zu können, als sie sogar noch genügend Geld gespart hatte, um endlich
aus der Hölle zu entfliehen, war einer von Madames Männer zurückgekehrt. Der mit
dem schwarzen

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