Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
nickte.
»Gartenarbeit. Damit ist’s jetzt vorbei.«
»Und was
war in dem Umschlag, den du grad wieder in d’ Hos’ gsteckt hosch?«
»Welcher
Umschlag?«
»Tu it so
scheinheilig. Hab’s genau g’sehe.«
»Der war
für die Lene.«
»Und woher
hosch du den?«
»Geht dich
’n Scheiß an!«
»Und was
isch drin?«
»Spinnst
du? Meinst du ich kuck da rein?«
Sie hörten
das Martinshorn.
»Ich glaub’
ich hau besser ab«, zischte Pulle, »hab kein’n Bock auf Scherereien.«
»Hosch du
Schiss?«
»Ich? Schiss?
Nö. Warum?«
»Vielleicht
bisch du verdächtig?«
»Meinst
du?«
»Na, immerhin
warsch du allein bei der Leiche. Und deine Fingerabdrück sind auf dem Flaschenhals!«
»Du hast
gesagt, du hast gesehen, dass ich den erst jetzt angefasst hab’! Oder willst du
mich reinreiten? Ich zisch ab!« Pulle nahm seinen Mantel vom Zaun und stieg auf
die Vespa. »Also? Was sagst du denen?«
Michel zögerte.
»Die Wahrheit, was sonst.« Er grinste. »Möcht’ nicht in deiner Haut stecken. Kennst
du des Lied?«
»Welches
Lied?«
»Von Stefan
Sulke. ›Der Mörder isch immer der Gärtner‹?«
»Klar«,
sagte Pulle. »Kenn ich. Ist aber von dem Waggershausen. Der aus Friedrichshafen.
»
Als der
blau-silberne Polo der Polizei die Straße entlang kam und vor dem Gartenzaun hielt,
war Pulle verschwunden. Nur die Staubwolke, die er auf der geschotterten Zufahrtsstraße
zum Kieswerk hinter sich herzog, verriet seinen Weg.
Zwei Beamte
der Schutzpolizei stiegen aus. Auch junge Kerle, dachte Michel. Ob die überhaupt
schon mal eine Leiche gesehen haben? Er ging ihnen langsam entgegen und überlegte,
was Pulle mit der Sache zu tun haben konnte. Hatte er die Tote wirklich nur gefunden?
Oder hatte er – Michel – ihn auf frischer Tat ertappt? Und was hatte es mit diesem
Umschlag auf sich? Na ja, sollten sich die Bullen darüber Gedanken machen …
Dass sie
ihn für den Mörder halten könnten, daran dachte Pulle auf seiner Vespa nicht. Immerhin
war in dem Lied ja der Butler der Mörder. ›Guter Song‹, dachte er. ›Guter Sänger,
dieser Waggershausen. Kein Wunder. Stammt ja auch vom Bodensee …‹
4
Als der Erste Kriminalhauptkommissar
der Kriminalpolizeiaußenstelle Singen auf der Höri eintraf, waren die Kollegen der
Zentralen Kriminaltechnik bereits bei der Spurensicherung, weißrote Absperrbänder
umspannten das Gelände. Thomas Reuschke, einer der Kriminaltechniker, sah auf die
Uhr und schüttelte den Kopf.
»Na, Kommissar
Bosch, Tatort mal wieder nicht gefunden?«, fragte er lächelnd und begrüßte den leitenden
Ermittler.
»Ich glaube,
mein Navi hat mal wieder was falsch verstanden. Hat mich über die B33 nach Radolfzell
rein geführt, und dann bin ich auf dem Gelände von irgend so einer Schiffswerft
in einer Sackgasse gelandet.«
»Und warum
rufst du nicht an?«
»Hab ich
ja«, sagte Hauptkommissar Jens Bosch, »aber vermutlich hast du keinen Empfang in
dieser Einöde hier.«
Reuschke
blickte auf sein Handy. Tot.
»Schon mal
was von Landkarte gehört? Wieso fährst du von Singen über Radolfzell zum Schiener
Berg?«
»Ich bin
von Konstanz gekommen. Hatte den Termin beim Chef.«
»Wegen deiner
Versetzung?«
Hauptkommissar
Bosch nickte und verdrehte die Augen. Eigentlich wollte er nicht daran erinnert
werden. War schlecht verlaufen, das Gespräch. Vermutlich würde er die nächsten Jahre
noch auf der Kriminalaußenstelle Singen herumhängen. Aus der Traum von der großen
Karriere beim LKA! Versetzt aus Stuttgart in die Provinz, und das mit knapp 40!
Er hätte sich in den Arsch beißen können! Warum hatte er sich nicht im Griff gehabt
und wegen zwei Frauen seine Ehe und seine Karriere ruiniert?
Die eine
– Kollegin der Kriminalinspektion 1 im Polizeipräsidium Stuttgart – hatte ein Problem
mit ihm, seit er nach einem gemeinsamen Einsatz mit ihr im Bett gelandet war und
ihr danach gesagt hatte, dass es ein Fehler war, der sich nicht wiederholen dürfe.
Immerhin war er zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet gewesen und hatte den One-Night-Stand
mit der Oberkommissarin als einen einmaligen Ausrutscher betrachtet.
Der anderen,
einer Journalistin aus Tübingen, hatte er vertraut, weil sie sich seit langem kannten.
Sie hatten sich im Polizeipräsidium Stuttgart im Dezernat für Tötungsdelikte wieder
getroffen, weil sie im Verdacht stand, einen Architekten aus Südafrika erschossen
zu haben. Ausgerechnet die gewisse Oberkommissarin hatte das Verhör geführt und
für Untersuchungshaft
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