Verschwunden
seiner Wut klar, ließ sie oft an Jeremy aus. Und deshalb hatte er, vielleicht auf Wunsch seiner Frau, das Kind für eine Weile fortgeschickt.
Das war nach Meinung von Mrs. Anderson das Beste, was die Reeds hatten tun können, das Beste für Jeremy.
Nur warum fühlte sich das alles so falsch an? Warum konnte Lane die Geschichte nicht glauben? Wieso spürte sie, dass an der Sache etwas faul war?
„ Michael“, sagte sie eines Morgens. „Ich werde mich heute krankmelden und nach Monticello fahren.“
„Nach Monticello?“, fragte er, nicht wirklich verwundert, denn mit dieser Ansage hatte er schon seit Tagen gerechnet.
„Sind wir nicht auf dem Weg nach Liberty dort durchgefahren?“
Michael überlegte. „Stimmt. Ein kleines Kaff, noch kleiner als Liberty.“
„Was denkst du, wie viele Einwohner hat Monticello?“
„Das kann ich dir gleich sagen.“ Er tippte etwas in sein Smartphone ein und hatte innerhalb von fünf Sekunden Monticello gegoogelt.
„Exakt 6 726.“
Lane dachte nach. „In solch einer kleinen Stadt kann es nicht mehr als zwei, drei Grundschulen geben.“
„Wir könnten dort nachfragen gehen, ob sie in letzter Zeit einen neuen Schüler namens Jeremy Reed aufgenommen haben.“
„Wir?“ Lane lächelte Michael an.
„ Na, denkst du, ich lasse dich allein da hin? Wie wolltest du das überhaupt machen ohne Auto?“
„Na, es gibt bestimmt einen Bus oder einen Zug, der mich dahin bringen würde. Ich würde sogar zu Fuß dorthin gehen, wenn ich müsste. Ich muss einfach wissen, dass es Jeremy gut geht, sonst frisst es mich auf.“
„Hast du denn ein Foto von ihm?“, wollte Michael wissen.
„ In meiner Wohnung habe ich eins. Vom Erntedankfest. Darauf ist er gut zu erkennen.“
„Gut“, sagte Michael. „Dann werden wir jetzt als Erstes in deine Wohnung fahren und das Foto holen, ein bisschen Proviant einkaufen und uns auf den Weg machen. Es sind nicht mehr als anderthalb Stunden Fahrt.“
„Michael?“ Lane sah ihren Gefährten an. „Ich danke dir!“
Michael nahm ihre Hand und drückte sie fest. „Gerne. Ich hab dir doch gesagt, dass ich von nun an immer für dich da sein werde.“
Und er hält sein Wort, dachte Lane. Was würde ich nur ohne ihn tun?
***
Am späten Vormittag erreichten sie Monticello, eine Kleinstadt, die Lane nicht kannte, durch die sie höchstens ein paarmal durchgefahren war. Doch Michael erzählte ihr, er habe als Jugendlicher einen Freund gehabt, der in Monticello gewohnt hatte. Er kannte sich also wenigstens ein bisschen aus.
Sie fuhren zuerst zur George L Cooke School, eine der beiden Grundschulen Monticellos. Mithilfe des Internets hatten sie schnell herausgefunden, dass es lediglich zwei davon in der Stadt gab. Und dank des Navis in Michaels schickem Mercedes hatten sie die Schule im Nu gefunden.
„ Ich muss gestehen, ich habe ein bisschen Angst vor dem, was mich hier erwartet“, sagte Lane, als sie ausstiegen und auf das Schulgebäude zugingen.
„Wenn wir Glück haben, sagt uns gleich die Schulsekretärin, dass Jeremy hier Schüler ist.“
„Und wenn wir Pech haben?“
„Dann fahren wir zur zweiten Schule.“
Lane wagte nicht zu fragen, was wäre, wenn sie dort auch kein Glück hatten.
Sie betraten das Gebäude und gingen zum ausgeschilderten Schulbüro.
Die Sekretärin war sehr freundlich, erklärte ihnen aber gleich, dass sie niemanden mit dem Namen Jeremy Reed an der Schule hatten.
Lane kramte das Foto aus ihrer Handtasche und zeigte es der molligen Frau. „Haben Sie diesen Jungen wirklich noch nie gesehen?“
Sie wusste, dass es nicht viel Sinn ergab, da die Dame ja schon gesagt hatte, dass Jeremy nicht hier war. Doch sie wollte es trotzdem versuchen, es konnte ja sein, dass er unter einem falschen Namen hier angemeldet war, aus welchem Grund auch immer.
Aber die Sekretärin schüttelte nur den Kopf und wünschte ihnen Glück auf der weiteren Suche.
Auf der Fahrt zur zweiten Schule war Lane sehr still. Michael ließ sie mit ihren Gedanken allein, er wusste, dass sie jetzt keine Aufmunterungen hören wollte.
In der zweiten Schule – der Kenneth L Rutherford School – war man nicht so offenherzig. Man sagte ihnen, man könne nicht einfach so eine Auskunft geben und bat sie, einen Moment zu warten. Einige Minuten später wurden sie zur Schuldirektorin gelassen.
Sie erklärten ihr Anliegen und selbst die Fremde musste sehen können, wie sehr die Sache Lane am Herzen lag und welch große Sorgen sie sich machte.
„ Und der Vater des Jungen hat
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