Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
schon seit längerer Zeit gespürt. Jedenfalls zweifelte ich nicht daran, dass dieses Hässliche real war. Wir konnten nur überleben, wenn wir weiter nach Westen zogen. Das musste so sein, und keiner der anderen wollte wissen, warum.
Sie wussten, warum.
Sie wussten sehr wohl Bescheid.
Und sie wussten auch, dass es nicht mal mehr eine Woche bis zum nächsten Vollmond war und ich bald das nächste Opfer aussuchen musste.
Die Zeit des Schattengebildes rückte näher und näher ...
GARY, INDIANA
1
Wir kamen an einem stillen, nebelverhangenen, Unheil verkündenden Tag in der Stadt an. Unser Hippie-Bus, der VW, pfiff inzwischen auf dem letzten Loch. Genau wie die wilden Tage der freien Liebe in Haight-Ashbury hatte der Bus seine besten Zeiten hinter sich. Auf der Interstate 80 Richtung Gary setzte sein Motor zweimal aus, und Carl erklärte, die Radlager seien im Eimer und der Vergaser verstopft. Deshalb rollten wir mehr oder weniger im Leerlauf in die Stadt hinein, wobei diese Liebeskutsche so keuchte wie ein asthmatischer alter Mann. Wir brauchten unbedingt ein anderes Fahrzeug, schließlich konnten wir nicht zu Fuß quer durchs Land tippeln.
Wir schlugen einen Bogen um Tolleston und fuhren mitten durch Ambridge bis zur Innenstadt. Mittlerweile spuckte unser VW-Bus ständig blaue Rauchwolken aus. Er rollte noch bis zu einer Reihe von Wohnhäusern und erstarb dann mit einem lauten Knall aus dem Auspuff.
Carl, der hinter dem Steuer saß, fluchte. Und gleich darauf fluchte er noch ein zweites Mal.
Ich stieg aus und fächelte mir mit einer Baseballkappe der Cleveland Indians Luft zu, denn mein Gesicht war völlig verschwitzt. In der hohlen Hand, um das Streichholz vor dem Wind zu schützen, zündete ich mir damit eine Zigarette an, die schal nach altem Tabak schmeckte. Danach musterte ich die desolate Szenerie: die umgekippten Autos, die Trümmer, den Abfall in den Gossen, die Sandverwehungen vor den Gebäuden. Auf einer Verkehrsampel saß eine Krähe und krächzte. Es war ein heißer, diesiger Tag, so trocken wie von der Wüstensonne gebleichte Gebeine. Ringsum war nichts Auffälliges zu sehen oder zu hören. Wie in den meisten Städten seit den Bombardierungen herrschte auch hier Grabesstille. Am Randstein stand ein Pick-up, hinter dessen Lenkrad ein vermutlich von Vogelmist verkrustetes gelbliches Skelett saß, denn zwischen dessen Rippen hatten Vögel ihre Nester gebaut.
Ich versuchte ein Gefühl für diese Stadt zu bekommen. Dafür, wo wir uns am besten hinwenden und, nach unserer Ankunft an diesem Ziel, was wir unternehmen sollten.
»Tote Hose, Nash. Lass uns weiterfahren!«, rief Texas Slim mir aus dem Kleinbus zu.
Ich ignorierte ihn, entfernte mich ein Stückchen vom Bus und musterte die zerstörten Gebäude ringsum. Ich sah zwar kein Leben, keine Bewegung, wusste aber, dass es irgendwo da draußen noch so was geben musste. Irgendwelche Augen beobachteten mich heimlich, taxierten mich. Die Zeiten, in denen man Fremde noch mit offenen Armen empfangen hatte, waren längst vorbei – so lief es heute nicht mehr.
Irgendwo in dieser Stadt musste es noch Menschen geben und nicht alle von ihnen konnten von der Strahlenkrankheit oder Seuchen befallen sein. Ich musste nur irgendwie und irgendwo einen von ihnen finden, schließlich würden wir bald Vollmond haben.
Denn falls ich hier kein Opfer fand, würde ich eines aus meinem Trupp auswählen müssen, und diese Vorstellung war mir mehr als zuwider.
Mittlerweile waren wir zu fünft: Janie und ich, Carl und Texas Slim sowie der Neue, Gremlin. Wir nannten ihn Gremlin, weil wir ihn in Michigan City eingesperrt in dem Kofferraum eines uralten Gremlin gefunden hatten. Gremlin hieß dieser hässliche Kleinwagen, den die American Motors Corporation von 1970 bis 1978 produziert hatte.
Als wir den Jungen fanden, sagte er, in der letzten Nacht seien Krätzekranke auf Beutezug gewesen, deshalb habe er sich im Kofferraum versteckt. Später habe er sich nicht aus eigener Kraft daraus befreien können. Er war darin so eingekeilt, dass wir alle mit anpacken mussten, um ihn aus dem Wagen zu zerren.
Ich war mir noch nicht sicher, was ich von ihm halten sollte. Es gab Dinge an ihm, die ich nicht mochte – etwa sein ständiges Herumnörgeln –, aber auch welche, die mir gefielen: Was man ihm auftrug, musste man nicht zweimal sagen, er erledigte es ohne jedes Hin und Her. Janie verhielt sich ihm gegenüber neutral, während Carl und Texas gern auf ihm herumhackten. Das war
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