Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
wusste, dass Blut durch meine Adern strömte. Zwar war auch mir nicht bekannt, was genau das Schattengebilde war, doch ich spürte, dass es zu dieser neuen Welt gehörte – eine neu aufgetauchte Naturgewalt, eine Naturgewalt wie der Wind, das Wasser und der Sonnenschein.
Es würde bestimmte Dinge von mir verlangen.
Und ich würde sie tun.
Und wenn es jemals Janie forderte? Falls es das je tat ... jemals diese verfluchte Forderung an mich richtete ... wusste ich nicht, was ich tun würde. Aber auf keinen Fall würde ich zulassen, dass es ihr etwas antat, egal, wie hungrig es sein mochte ...
3
An jenem Tag fanden wir zwar keinen fahrtüchtigen Wagen, aber eine Frau, die wir dem Schattengebilde opfern konnten. Carl schnappte sie sich, als er zu Fuß unterwegs war und die Straßen nach einem Fahrzeug für uns abklapperte. Die Frau hatte sich in einem Gebäude versteckt. Als Carl vorbeiging, warf sie mit einem Stein nach ihm. Also ging er auf sie los, schlug sie, bis sie keinen Widerstand mehr leistete, fesselte und knebelte sie und nahm sie mit zu uns.
Janie machte das zu schaffen.
Ich kann nur sagen, dass diese Frau kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Sie war noch nicht so stark wie die Krätzekranken infiziert, noch nicht, doch dem Blick ihrer Augen nach zu urteilen, war sie nicht mehr allzu weit davon entfernt. Sie sah so aus, als wollte sie jemandem den Kehlkopf herausreißen.
Janie zog mal wieder die ganze Mitgefühls-Chose durch und sagte zu uns, die Frau sei ein menschliches Wesen mit Rechten wie jeder andere. »Ich will mit ihr reden, Nash.«
»Aber die ist doch völlig durchgeknallt!«
»Bitte!«
»Nun ja«, meinte Carl, »sie hat sich nicht gerade menschlich oder damenhaft verhalten, als ich sie fand, Janie. Aber du kannst es ja versuchen, wenn du unbedingt willst.«
Während Carl der Frau das Klebeband vom Mund zog, beobachtete sie uns mit wachsamem, stählernem Blick.
Janie legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Hör mal, meine Liebe ...«
Die Frau wich zurück, schrie Janie an und stürzte sich auf sie, um sie zu beißen. Doch Carl schlug sie zu Boden, kniete sich auf ihren Rücken und verschloss ihren Mund wieder mit Klebeband.
»So viel dazu«, sagte ich.
»Sie ist verrückt«, erklärte Janie. »Völlig verrückt.«
Carl und ich lachten uns den Arsch ab.
4
Nacht.
Wir verschanzten uns in einer kleinen Maschinenwerkstatt, nachdem wir einen ganzen Tag damit vergeudet hatten, nach einem besseren Wagen als dem VW-Bus zu suchen. Die Maschinenwerkstatt hatte ich deshalb ausgewählt, weil sie gut zu verteidigen war und nicht unmittelbar an der Straße lag. Die Fenster waren sogar vergittert. Falls irgendjemand oder irgendetwas uns anzugreifen versuchte, würden wir das im Mondlicht rechtzeitig erkennen. Und die Straße da draußen bot uns freie Bahn, jeden Gegner umzunieten.
Ich zog mir einen Stuhl vors Fenster und nahm die Savage Bolt-Action .30-06 auf den Schoß. Meiner Meinung nach würde die Stadt Gary mir kaum noch Überraschungen bieten können, die ich damit nicht in den Griff bekommen würde.
Während ich Wache hielt, schnarchten Carl und Texas im Hinterzimmer. Auch Janie schlief.
Es gab nichts anderes zu tun als die leeren, wartenden Straßen zu beobachten. Hin und wieder beugte ich mich zur Scheibe vor und sah mir den Mond über der Stadt an. Es war noch nicht Vollmond, aber nahe dran. Da hing er, rund und fett, glotzte wie ein gelbes Auge auf uns herab und tauchte die Gebäude in ein phosphoreszierendes Licht.
Das erinnerte mich an meine Kindheit.
Damals hatte in meiner Nachbarschaft ein Mädchen namens Mary LaPeer gewohnt, fünf Jahre älter als ich. Sie hatte langes dunkles Haar und strahlend blaue Augen gehabt. Und natürlich war ich verliebt in sie gewesen.
Mary besaß ein Teleskop, das sie an warmen Sommerabenden mit nach draußen nahm, in den Garten hinter dem Haus, um den Mond und die Sterne zu betrachten – manchmal bis ein oder zwei Uhr früh. Wenn ich aus dem Fenster sah und darauf wartete, dass Mary herauskam, schlug mein Herz vor Vorfreude Purzelbäume.
Sobald sie draußen war, schlüpfte ich aus dem Fenster und gesellte mich zu ihr. Mary zeigte mir den Mond, den Mars und einmal auch den Krebsnebel, aber keiner der Himmelskörper strahlte heller als meine Augen, wenn ich sie ansah und ihr zuhörte, wie sie von den Saturnringen oder den gelblichen Dunstschichten der Venus erzählte.
Bis zu dem Tag, als sie nach ihrem High-School-Abschluss wegzog, um ein
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