Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
vorhat? Wirf einen Blick zurück, sieh nach Osten, der jetzt nur noch ein einziger großer Knochenhaufen ist, an dem die Vögel picken. Dort gibt es gar nichts mehr, keine Sonne, kein Licht! Dieses Ding zerstört alles auf seinem Weg und hinterlässt nur eine pechschwarze Leere, die sich immer weiter ausbreitet. Und jetzt ist es auf dem Vormarsch, kommt mit jedem Tag näher. Lauf um Gottes willen, um Janies willen oder auch um deinetwillen los, so schnell du kannst ...«
An diesem Punkt erwachte ich aus dem Traum – falls es denn einer gewesen war. In Schweiß getränkt, der mir heiß und zugleich eiskalt vorkam, torkelte ich zur Tür und verließ die Abstellkammer. Meine Eingeweide waren von unten nach oben gestülpt und die Beine trugen mich kaum, sodass ich gegen Wände prallte und über die eigenen Füße stolperte. Meine Muskeln schmerzten und zuckten, der Rücken hing durch, die Hände zitterten. Mein Kopf kam mir vor wie in einen Schraubstock gespannt und Wellen von Schmerz drohten mir den Schädel zu spalten. An meinem Gesicht rannen Tränen herunter und die Zähne schlugen aufeinander. Und ich empfand ein solches Gefühl von Ekel, als hätte ich einen von Würmern zerfressenen Leichnam umarmt.
Doch das, was mich umarmt hatte, war weit schlimmer gewesen: kein Leichnam, sondern der Leichenmacher.
In der kühlen Nachtluft fiel ich vor dem Laden auf die Knie. Scherte mich nicht um Rudel wilder Hunde, verstrahlte Kinder oder sonstige Gefahren. All das zählte nicht im Vergleich zu dem, was ich gerade durchgemacht hatte. Ich wusste nicht, ob es nur ein Albtraum, Realität oder ein von einem Fieberwahn ausgelöstes Gemisch aus beidem gewesen war. Ich wusste nur, dass ich den penetranten Gestank verwesender Leichen in den Städten des Ostens tatsächlich gerochen hatte und in meinem Mund immer noch so etwas wie bittersüße Gallenflüssigkeit schmeckte.
Mehrmals übergab ich mich, bis alles draußen war und ich mich gereinigt fühlte. Doch selbst danach brachte mich der brutale Gestank des Erbrochenen – es roch völlig anders als alles, was mein Magen je von sich gegeben hatte – zum trockenen Würgen, das meinen ganzen Körper erschütterte.
Irgendwann kam Janie nach draußen. »Ist dir nicht gut, Nash?«
Mit heißem, aber wachsbleichem Gesicht und blutunterlaufenen tränenden Augen sah ich zu ihr auf. Schluckte einmal, zweimal, konnte aber kein Wort herausbringen. Als wir wieder drinnen waren, trank ich etwas Wasser und rauchte eine Zigarette. Und die ganze Zeit über starrte Janie mich an und wollte eine Antwort. »Nash, Nash? Du lieber Himmel, Nash, rede doch mit mir!« Aber das konnte ich nicht. Denn falls ich den Mund aufmachte und den Kehlkopf, der mir wie eingerostet vorkam, benutzte, würde nur eines in einem einzigen Schwall herausdringen: pures, ungezügeltes Entsetzen. Der Schrei, der jeden anderen Schrei in den Schatten stellen würde. Ich fürchtete, nie wieder damit aufhören zu können, sobald ich diesen Schrei herausließ.
Deshalb sagte ich nichts. Kein Wort.
In Janies Augen konnte ich Sorge um mich lesen, ja, aber auch Angst. Sie fragte sich, ob mich das Fieber erwischt hatte. Aber das, was ich nicht auszusprechen, nicht in Worte zu fassen wagte, war die Tatsache, dass mich nicht das Fieber, sondern die Quelle aller Fieber in ihrem Griff hatte. Und diese Quelle war auf dem Vormarsch. Rückte Tag für Tag näher. Ein namenloser Schrecken, darauf aus, alles zu vernichten, was von der Spezies Mensch noch übrig war.
6
Texas Slim und Carl fanden tatsächlich einen Wagen für uns – und was für einen! Etwa eine Stunde, bevor ein weiterer Sandsturm wütete, kehrten sie damit zu uns zurück. Zwar fiel ihnen das Schweigen zwischen Janie und mir sicher unangenehm auf, doch sie fragten nicht, was passiert sei. Stattdessen nahmen sie uns mit nach draußen, um uns ihren Fund vorzuführen.
Beim Anblick des Wagens musste ich lachen, genau wie Janie.
Bei all den Dinosauriern im Dschungel der Automobile waren sie ausgerechnet auf einen VW-Kleinbus gestoßen, der zu Zeiten des Vietnamkriegs neu gewesen sein musste. Der Bus war abgenutzt und hatte jede Menge Dellen, und irgendjemand hatte ihn mit Blumenmotiven, Friedenszeichen und anderen, psychedelischen Symbolen überstrichen, die im Laufe der Jahre verblasst waren. Es war ein wirklich hässliches Fahrzeug, das ausgezeichnet in diese hässliche neue Welt passte.
»Wo zum Teufel habt ihr den denn aufgetrieben?«
»In der Garage von jemandem«,
Weitere Kostenlose Bücher