Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
könnte dir irgendwie helfen.«
Ich spannte mich an und schoss dem Alten eine Kugel in den Kopf, um sein Leiden zu verkürzen. Es war das Einzige, was ich für ihn tun konnte, trotzdem gab es mir im Inneren ein eiskaltes, leeres Gefühl. Hätte ich irgendein geeignetes Gebet gekannt, hätte ich es jetzt vielleicht vor mich hin gemurmelt.
»Es ist nicht von Belang«, flüsterte ich, verblüfft darüber, wie so oft, dass es in meiner Seele nach all der Scheiße, die ich durchgemacht hatte, noch etwas so Immaterielles wie ein Gewissen geben sollte.
Im tiefen Schatten der Gasse raschelte etwas und huschte vorbei.
Weitere Ratten.
Vermutlich befand sich in der Nähe eine ganze Kolonie.
Hastig ging ich zum VW-Bus zurück. Es war noch mitten am Nachmittag und normalerweise wurden die Ratten erst nachts richtig aktiv, aber man konnte ja nie wissen ... Ratten konnten sich unglaublich bösartig verhalten, wenn sie ihre Nester bedroht sahen. Falls sie mich zuhauf verfolgten, würde es mir nicht mal helfen, mein Waffenmagazin auf sie zu entleeren. Mit ihren Zähnen, Klauen und verlausten Körpern würden sie mich im Nu unter sich begraben und meine Knochen innerhalb von Minuten sauber abnagen.
Sobald ich wieder im Bus saß, wies ich Carl an loszufahren.
Keuchend und ruckelnd setzte sich der Wagen in Bewegung, nahm jedoch nach und nach Geschwindigkeit auf.
2
Das, was ich an Janie am meisten hasste, war ihre brutale Ehrlichkeit. Sie hatte nicht das kleinste bisschen Unaufrichtigkeit in ihrer Seele. Doch in unserer Lage war die Selbsttäuschung und die Täuschung der anderen ringsum pure Selbsterhaltung. Es bewahrte einen davor, verrückt zu werden, und hielt einen am Boden. Aber nicht Janie.
Immer, wenn wir beide allein waren, sah mich Janie mit diesen so wunderbar klaren, so wunderbar blauen Augen an und stellte mir wieder und wieder dieselbe Frage: »Wo gehen wir hin, Nash? Wo bringst du uns hin?«
»Nach Westen«, erwiderte ich jedes Mal. »Wir ziehen nach Westen.«
»Aber warum nach Westen? Was soll da draußen anders sein als hier?«
»Wir müssen ganz einfach nach Westen. Punktum.«
Dann hielt Janie meistens kurz den Mund, bis sie irgendwann nachhakte: »Will es das Schattengebilde so? Hat das Schattengebilde dir das befohlen?«
Und dann fühlte ich mich plötzlich wie gelähmt vor Angst und es nagte eine böse Vorahnung an mir, die mich bei lebendigem Leib zu verzehren drohte. Ich konnte kein Wort herausbringen, blieb, Janie in den Armen, nur stumm liegen, spürte den abkühlenden Schweiß auf ihrer Haut, roch ihren süßen, moschusartigen Duft. Das Schattengebilde, oh Gott! Was es alles wollte, von mir verlangte! Der Gedanke daran, was ich ihm einmal im Monat während des Vollmonds opfern musste, entsetzte mich.
Aber so war Janie nun mal: Ausflüchte nahm sie nicht hin. Die anderen hätten sich niemals getraut, mich so was zu fragen. Sie wussten über das Schattengebilde Bescheid. Wussten, was es wollte ... Und da das kein angenehmes Thema war, brachte es keiner von ihnen je zur Sprache.
Doch Janie war anders: Sie bombardierte mich mit Fragen und ich kam nicht umhin, sie zu beantworten. Wenn ich meine Stimme wiedergefunden hatte, diese alte, verkratzte Stimme, die mittlerweile so abgenutzt und blechern klang wie eine Schellackplatte aus der Steinzeit, erwiderte ich meistens: »Ja, das Schattengebilde will es so. Wir sollen nach Westen ziehen, weil da draußen irgendetwas wartet.«
»Was?«
»Das weiß ich nicht. Irgendetwas ist da draußen. Mag auch sein, dass es hier etwas gibt, vor dem wir flüchten müssen. Ich weiß es nicht.«
Mehr sagte ich nie. Janie musste nicht erfahren, was ich vermutete: dass irgendetwas hinter uns her war, das seinen Weg quer durchs Land mit Leichen pflasterte, eine Stadt nach der anderen einnahm und dort nur Gebeine zurückließ.
Wenn Janie dann tief ein- und ausatmete, strich ich ihr über den nackten Rücken, über die wunderbar glatte, gebräunte Haut, und dachte dabei daran, wie sehr sie Shelly ähnelte. Nur war Shelly jetzt tot und Janie am Leben.
»Wie lange soll das noch so gehen, Nash? Wann wird das Schattengebilde seinen Hunger gestillt haben? Wann hat es genug?«
Aber darauf antwortete ich nie, denn es machte mich krank, darüber nachzudenken, was ich irgendwann würde tun müssen. Und wen ich dabei vielleicht würde opfern müssen. Mit schrecklicher Gewissheit war mir klar, dass das Schattengebilde niemals genug haben würde. Das wusste ich so sicher, wie ich
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