Versprechen eines Sommers
vorlesen wollte. Eigentlich sogar euch beiden.“
Warum hast du es dann nicht getan? wollte sie fragen.
„Ich meine, ich weiß, dass du ganz gut lesen kannst, oder?“
„Das fragst du wirklich?“ Sie schnappte sich die drei Kanupaddel von den Haken an der Wand. „Weißt du es wirklich nicht?“ Er sah so geknickt aus, dass sie Mitleid mit ihm hatte. „Keine Sorge, Dad. Ich kann sehr gut lesen.“ Er tat so, als wäre er der coolste Vater der Welt, nur weil er nicht ausflippte, obwohl er wusste, dass sie Zigaretten und Gras rauchte. Aber er merkte nicht, wie wenig er wirklich über sie wusste – dass sie dieses Jahr den Dickinson-Preis für Poesie gewonnen und sich einen Schlüssel in der National Honor Society verdient hatte. Dass sie in der letzten Saison eine Menge Tore für ihr Lacrosse-Team geschossen hatte. Dass Keith Jarrett ihr Lieblingsjazzpianist war und dass sie auf einer Party Kokain probiert hatte.
„Es gibt so viel, was wir lesen können“, sagte ihr Dad. „ Der König auf Camelot und Die Schatzinsel . Früher hat es im Haupthaus neben dem Gemeinschaftsraum eine Camp-Bibliothek gegeben. Da können wir heute Abend ja mal gucken gehen.“
Eines musste man ihrem Vater zugutehalten: An Enthusiasmus fehlt es ihm nie.
Sie suchten Angeln und Rollen aus, Senkbleie und rotweiße Köder und gingen zurück zum Dock.
Greg hatte ein großes Kanu zu Wasser gelassen, das sechs Holzbänke hatte. Außerdem hatte er eine Kühlbox mit ausreichend Getränken, Sandwiches und Snacks für eine ganze Armee mitgebracht. Daisy stellte sich vor, wie er mitten in der Nacht aufgestanden war und alles vorbereitet hatte, und ihr Herz zog sich zusammen. Er versuchte es. Er versuchte es wirklich.
Ihr fielen ein Haufen Handtücher und eine Tube Sonnencreme ins Auge. Sonnencreme? Dachte er wirklich daran, so lange auf dem Wasser zu bleiben, dass man Sonnencreme brauchte?
„Du hast gesagt, wir sollen Blumen rund um die Auffahrt und das Haupthaus pflanzen“, erinnerte sie ihren Dad.
„Das stimmt.“ Er warf ihr eine Rettungsweste zu. „Blumen lassen alles gleich viel frischer aussehen. In meinem ursprünglichen Entwurf hatte ich rote und weiße Geranien vorgesehen.“
„Also sollten wir nicht zu lange wegbleiben“, fügte sie hinzu.
„Mach dir darüber keine Gedanken. Den Blumen ist es egal, an welchem Tag wir sie in die Erde setzen. Wozu soll ein Sommercamp gut sein, wenn man nicht ab und zu auch mal einen Tag faulenzt?“ Er grinste. „Tja, sieht so aus, als säßest du mit Max und mir in der Falle.“
„Super.“
Das Kanu war wackeliger, als es aussah, wie es so friedlich neben dem Dock schwamm. Als sie an Bord gingen, taumelte es unheilvoll von einer Seite auf die andere, was Max unglaublich spaßig fand.
„Setz dich ruhig hin“, wies Daisy ihn an und nahm sich ein Paddel. „Wenn du uns zum Kentern bringst, wirst du es bereuen, das schwöre ich dir.“
„Ist doch nur Wasser.“
„Ja, aber hast du mal ’ne Hand reingehalten?“
Max ließ seine Finger ins Wasser baumeln. „Ich finde, das fühlt sich großartig an.“
„Paddel einfach, Taubnuss.“
„Meine Nüsse sind nicht taub“, protestierte er.
„Komm schon, Max. Nimm dir ein Paddel und fang an zu paddeln“, sagte sie. „Oder weißt du nicht, wie das geht?“
„Natürlich weiß ich das.“ Streitlustig nahm er das Paddel, während ihr Vater das Kanu vom Steg abstieß.
Daisy tauchte das Blatt ein und gab von ihrem Platz vorne im Kanu den Takt vor. Sie wusste nicht genau, was sie da tat, aber sie hatte im Sportunterricht schon mal gepaddelt und machte es einfach genauso. Es war nicht schwer, auch wenn ihr Dad und Max hoffnungslos aus dem Takt waren. Ihre Paddel knallten in der Luft zusammen, sodass die Wassertropfen nur so spritzten und in den ersten Sonnenstrahlen wie Diamanten glitzerten. Daisy stellte sich vor, Dr. Granville von dem Ausflug zu erzählen. Er würde sagen, dass die mangelnde Koordination eine Metapher für die Probleme der Familie sei. Er liebte diesen ganzen Metapher-Kram. Er würde erklären, wie Dads Unreife und Bindungslosigkeit, Daisys Suche nach Grenzen und Max’ Bedürfnis nach Bestätigung sich in der Art, wie sie zusammen paddelten, widerspiegelte.
„Als ich ein Kind war“, sagte Dad, „gab es hier immer einen Mannschafts-Quadrathalon. Ein Rennen mit vier Teilen. Als Erstes mussten wir paddeln – einmal um die Insel und zurück. Dann mussten wir von den Startblöcken bis zu den Bojen und zurück
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