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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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Zusammenarbeit mit den Grünen. Warum waren Sie dagegen?
    Das ist alles lange her, ich weiß das nicht mehr so genau. Aber ich weiß noch sehr gut, dass Erhard Eppler sich immer für die Öffnung der SPD nach links ausgesprochen hat. Er selbst war in seinem Bundesland nie sonderlich erfolgreich, aber er wollte uns beibringen, wie man Wahlen gewinnt.
    Gab es auch Momente, in denen Sie sich mit Eppler verstanden haben?
    Ja, in den sechziger Jahren. Ich war Fraktionsvorsitzender, er war Fachmann für Steuerfragen. Es ging damals zum Beispiel um die Einführung der Mehrwertsteuer. Ich erkannte seine Begabung und seine Fähigkeiten und habe ihm gesagt, er solle sich in Zukunft lieber um die Außenpolitik kümmern, weil die Steuergeschichte ein vorübergehendes Problem sei. Intellektuelle Fähigkeiten und Potenzial waren eindeutig erkennbar.
    Haben Sie solche Vor- und Querdenker genervt?
    Nee, die haben mich gar nicht genervt. Es gab einen anderen Querdenker, Jochen Steffen, der hat mich jeden Sommer einen halben Tag lang am Brahmsee besucht. Ich habe ihn sehr gemocht, aber seine politischen Vorstellungen waren in meinen Augen verrückt, nicht zum Vorteil des deutschen Volkes. Das hat mich aber nicht daran gehindert, mich jedes Jahr wieder mit ihm zu treffen. Politische Meinungsverschiedenheiten dürfen persönlichen Beziehungen nicht im Weg stehen. Das gilt nicht nur für Leute in der eigenen Partei. Ich habe immer auch Freunde in der CDU gehabt, auch in der CSU.
    Aber sind Ihnen die Grünen nicht bis heute extrem wesensfremd geblieben?
    Nein, das geht mir zu weit. Was mir seinerzeit besonders negativ aufgefallen ist, war die Gleichgültigkeit vieler Grüner gegenüber der Funktionstüchtigkeit der eigenen Stadt, des eigenen Staates, der eigenen Unternehmen, der eigenen Volkswirtschaft. Diese Gleichgültigkeit existiert zum Teil heute noch. Die Grünen haben ökonomische Probleme immer so behandelt, als ob es sich um eine Nebensache handele. Die alte Erkenntnis von Karl Marx, dass das ökonomische Sein das Bewusstsein bestimme, haben sie anscheinend nicht wirklich verstanden; jedenfalls haben sie sich nicht danach gerichtet. Sie haben es für selbstverständlich gehalten, dass der Staat und die Ökonomie funktionieren.
    Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass ein Grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg wird?
    Das habe ich mir vorstellen können, und ich finde das Experiment, das dort veranstaltet wird, außerordentlich interessant. Vermutlich wird es auch sehr lehrreich für die Grünen sein, denn jetzt müssen sie sich, zum Beispiel im Fall Stuttgart 21, mit ökonomischen und zivilrechtlichen Tatsachen auseinandersetzen.
    Sie konnten sich im Ernst auch vorstellen, dass die SPD einmal Juniorpartner in einer grün-roten Koalition werden würde?
    Für Baden-Württemberg hätte ich mir das vorstellen können, ja. Für Hamburg nicht. Das Vertrauen in die Kontinuität der politischen Vorstellungen der Menschen in Baden-Württemberg ist bei mir schon zu Zeiten des Ministerpräsidenten Filbinger schwer beeinträchtigt worden.
    Aber der Erfolg von Winfried Kretschmann hatte nicht nur mit regionalen Gegebenheiten zu tun …
    Das stimmt. Politische Prozesse brauchen auch Auslöser, Zufallsauslöser, wie zum Beispiel Fukushima. Und sie brauchen Führungspersonen. Beides war in Baden-Württemberg gegeben.
    Was soll die altehrwürdige Sozialdemokratie tun, damit sie nicht zwischen Linkspartei und Grünen aufgerieben wird?
    Das ist eine Frage, die ich nicht aus dem Handgelenk beantworten möchte. Darüber müsste man ein ganzes Buch schreiben.
    Vielleicht fällt es Ihnen leichter, zu sagen, was die SPD in der aktuellen Situation auf keinen Fall tun darf.
    Sie darf sich auf keinen Fall dem tagespolitischen Opportunismus hingeben.
    Hätte die CDU den eingeschlagenen atompolitischen Kurs nach Fukushima einfach fortsetzen können?
    Die deutsche Position zur Kernenergie hätte nicht ohne Rücksicht auf die europäischen Nachbarn verändert werden dürfen. Das war in meinen Augen ein schwerer Fehler, der das Vertrauen unserer Nachbarn in die deutschen Politiker ganz erheblich beeinträchtigt hat.
    Aber es kann doch durchaus Fälle geben, in denen Politiker schnell eine Entscheidung treffen müssen.
    Ja, dann sind sie auf ihren Instinkt und ihre Erfahrung angewiesen. Aber für deutsche Politiker war Fukushima kein solcher Fall. Es war absolut nicht notwendig, von heute auf morgen das Gegenteil von dem zu beschließen, was

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