Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
auf seine Affäre nicht ein wenig übertrieben?
Das ist das Mindeste, was sich dazu sagen lässt!
Gibt es einen Unterschied zwischen politischem Talent und politischem Instinkt?
Das sind zwei verschiedene Dinge, die aber Hand in Hand gehen sollten. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg eines Politikers ist jedoch vor allem das, was er zustande bringt, was von seiner Arbeit nachbleibt. Eine Wahl zu gewinnen ist das eine. Das andere ist, anschließend vier Jahre lang gefälligst anständig und erfolgreich zu regieren.
20. April 2011
»Ich bin seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Grüner«
Über das Entstehen neuer Parteien
Juli 2011. In den Wochen und Monaten nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima sind die Umfragewerte der Grünen in die Höhe geschnellt. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg Ende März hat die Partei 24,2 Prozent erreicht, mehr als die SPD. Seit Mai gibt es in Deutschland erstmals einen grünen Ministerpräsidenten: Winfried Kretschmann steht in Stuttgart an der Spitze einer grün-roten Koalition.
Lieber Herr Schmidt, ich habe den Eindruck, dass Sie nur selten und äußerst ungern über die Grünen reden.
Da täuschen Sie sich. Wenn ich nach ihnen gefragt werde, äußere ich mich auch zu den Grünen. Aber ich käme kaum auf die Idee, von selbst über andere Parteien zu sprechen. Ich rede auch über meine eigene Partei nur selten aus eigener Initiative.
Schmerzt es Sie, dass die Grünen ausgerechnet während Ihrer Regierungszeit groß geworden sind?
Nein, gar nicht. Ich habe immer gewusst, dass das Verhältniswahlrecht in aller Regel dazu führt, dass eine größere Zahl von Parteien ins Parlament einzieht. Es zwingt zur Koalitionsbildung und damit zu Kompromissen, und zum Teil sind diese Kompromisse in der Sache nicht förderlich. Deshalb habe ich vor einem halben Jahrhundert, zur Zeit der ersten Großen Koalition, gemeinsam mit Herbert Wehner und den CDU-Kollegen Rainer Barzel und Paul Lücke dafür plädiert, ein Mehrheitswahlrecht nach angelsächsischem Vorbild einzuführen. Wir sind mit diesem Vorschlag gescheitert, die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben ihn abgelehnt.
Das ist eine sehr politologische Antwort auf meine Frage. Neue Parteien entstehen ja auch in unserem Wahlsystem nicht zwangsläufig, es gibt gesellschaftliche und politische Ursachen. Haben Sie sich nie gefragt, ob Sie als Bundeskanzler nicht einen Anteil daran gehabt haben, dass die Grünen überhaupt entstanden sind?
Nein, die Grünen sind ja erst 1983 das erste Mal in den Bundestag eingezogen, zu meiner Zeit als Bundeskanzler saßen sie nicht im Parlament. Der Ursprung der Partei liegt eigentlich in der 68er-Studentenbewegung; aber die Grünen sind während der sozialliberalen Koalition nicht in den Bundestag gelangt.
Kein Geringerer als Daniel Cohn-Bendit hat einmal erklärt, die Grünen seien praktisch die Kinder Ihrer Politik: Erst der Nato-Doppelbeschluss und Ihr Engagement für die Atomenergie hätten Anfang der achtziger Jahre die Menschen in Massen mobilisiert.
Da ist etwas Richtiges dran, aber es trifft nicht den Kern der Dinge. Tatsächlich ist es so, dass in jeder Demokratie mit Verhältniswahlrecht eine Reihe von neuen Parteien entsteht. Das können Sie in Italien ebenso beobachten wie in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, auch in Skandinavien. In Deutschland hat sich dieser Prozess verzögert, weil das Spitzenpersonal der großen politischen Parteien zunächst integrierend gewirkt hat. Denken Sie nur an Konrad Adenauer und Kurt Schumacher, Ernst Reuter und Willy Brandt, an den frühen Ludwig Erhard oder Theodor Heuss.
Könnte man nicht auch sagen: Die Grünen waren Ausdruck neuer sozialer Bewegungen, deren Ideen und Interessen Sie nicht auf dem Schirm hatten?
Dass ich sie nicht auf dem Schirm hatte, ist nicht richtig. Richtig ist, dass es in jeder Gesellschaft alle möglichen Bewegungen gibt. Übrigens: Alle Fragen, die Sie mir jetzt stellen, könnten Sie genauso gut Gerhard Schröder mit Blick auf die Linkspartei stellen. Da sehe ich eine gewisse Parallelität. Aus der Tatsache, dass die Linkspartei Wahlerfolge erzielen konnte, darf man desgleichen nicht einfach schließen, dass die rot-grüne Bundesregierung die postkommunistischen Themen nicht auf dem Schirm gehabt hätte, die sich Gysi und Lafontaine auf die Fahnen geschrieben haben.
Man könnte auch sagen: Die Kanzler Schmidt und Schröder haben weitreichende politische Beschlüsse durchgesetzt,
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